Inhaltspezifische Aktionen

Multiresistente Bakterien schneller als neue Wirkstoffkombination

Schon vor dem Einsatz Resistenzen in Deutschland nachgewiesen – Substanz galt als Hoffnungsträger im Kampf gegen Krankenhauskeime

Nr. 105 • 1. September 2021

Enterobakterien wie Escherichia coli oder Klebsiella pneumoniae sind gefürchtete Krankenhauskeime, die schwere Infektionen in Darm und Harnwegen verursachen können. Die Infektionsgefahr mit diesen Erregern wächst, denn sie werden weltweit zunehmend resistent und damit widerstandsfähig gegen eine Gruppe von Antibiotika, die eigentlich die entscheidende Reserve für den Notfall ist: die Carbapeneme. Eine neue Kombination von zwei antimikrobiellen Substanzen galt als Hoffnungsträger für die Behandlung – doch eine aktuelle Studie an der Justus-Liebig-Universität (JLU) und dem Deutschen Zentrum für Infektionsforschung (DZIF) machte diese Hoffnung nun zunichte. Schon vor dem Einsatz der Substanzen in Deutschland konnten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Bakterien finden, denen diese neue Kombination nichts mehr anhaben kann.

2017 gab die Weltgesundheitsorganisation (WHO) eine Liste von zwölf multiresistenten Krankheitserregern heraus, für die dringend neue Wirkstoffe benötigt werden. Höchste Priorität haben Acinetobacter baumannii und Pseudomonas aeruginosa sowie die genannten Enterobakterien, die gegen Carbapeneme resistent sind. Für sie gilt eine neue Kombination aus zwei antimikrobiellen Substanzen – Aztreonam und Avibactam – als Hoffnungsträger.

„Aztreonam-Avibactam ist eine Kombination aus einem älteren Antibiotikum – Aztreonam – mit einem neueren Hemmstoff – Avibactam –, der die Wirksamkeit der Resistenz gegen Carbapeneme aufheben kann und so die Bakterien wieder angreifbar macht“, erklärt Dr. Can Imirzalioglu, DZIF-Wissenschaftler am Institut für Medizinische Mikrobiologie der JLU und Mitautor der Studie. Eine gute Wirksamkeit wird besonders bei Enterobakterien erwartet, deren Resistenzmechanismus auf einem bestimmten Typ von Carbapenemase-Enzymen beruht. Bisher sind Infektionen mit solchen Carbapenem-resistenten Erregern oftmals nur sehr schwer zu behandeln, da die Therapieoptionen mit vorhandenen Antibiotika stark eingeschränkt oder sogar gar nicht mehr gegeben sind“, ergänzt der Forscher.

Derzeit ist die fixe Kombination dieser beiden Substanzen als Therapie noch nicht frei verfügbar und wird nur in klinischen Studien eingesetzt. In Europa gehören unter anderem Griechenland und Italien zu Ländern, die ihre Hoffnungen auf die Kombination von Aztreonam und Avibactam setzen, da dieser Carbapenemase Typ dort weiter verbreitet ist als in Deutschland. Das Vorkommen Carbapenem-resistenter Erreger steigt aber weltweit stetig an. Vor diesem Hintergrund konnte das Team um den Resistenzforscher Prof. Dr. Patrice Nordmann an der Universität Fribourg (Schweiz) Mechanismen identifizieren, die zu Resistenzen gegen Aztreonam-Avibactam führen und auch schon Erreger nachweisen, die diese besitzen. „Diese Resistenz entsteht durch eine spezifische Kombination aus Veränderungen in vorhandenen Strukturen der Bakterien in Verbindung mit dem Erwerb bestimmter Resistenzgene“, beschreibt Dr. Yancheng Yao, Mitautor der Studie und DZIF-Wissenschaftler am Institut für Medizinische Mikrobiologie der JLU Gießen die Mechanismen.
Studie weist frühe Resistenzen in Deutschland nach

In einer Kooperation mit den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus Fribourg konnten die Gießener nun mittels einer Genomanalyse von Bakterien, die im Rahmen einer Surveillance-Studie für hochresistente Erreger in Hessen (SurvCARE) durchgeführt wurde, erstmals solche Erreger auch in Deutschland nachweisen. „Das ist besorgniserregend, denn diese Wirkstoff-Kombination wird hier noch nicht klinisch eingesetzt“, erklärt Prof. Dr. Trinad Chakraborty, Direktor des Instituts für Medizinische Mikrobiologie der JLU und Co-Koordinator des Forschungsbereichs Krankenhauskei-me und Antibiotika-resistente Bakterien des DZIF. „Alarmierend ist hierbei auch die Tatsache, dass diese Resistenz auch bei Bakterien gefunden wurde, die in Deutschland sehr häufig vorkommende Carbapenemasen tragen. Dadurch werde das Potenzial von Aztreonam-Avibactam als Initialtherapie deutlich eingeschränkt. „Die Erwartung als Hoffnungsträger-Kombination bei Infektionen mit Carbapenem-resistenten Erregern kann möglicherweise nicht erfüllt werden“, so die Bilanz des Wissenschaftlers.

Die nun im Fachjournal „Antimicrobial Agents and Chemotherapy“ veröffentlichte Studie zeigt aber auch die Bedeutung der Genom-basierten Surveillance solcher Erreger. „Die Genom-basierte Analyse hochresistenter Erreger ist nicht nur für die Analyse von Ausbruchssituationen oder Übertragungsereignissen wichtig, kontinuierlich angewendet, erfüllt sie eine wichtige Wächterfunktion zur frühzeitigen Entdeckung neuer Resistenzentwicklungen und neu auftretender Erreger“, betont Prof. Dr. Linda Falgenhauer, Mitautorin der Studie, DZIF-Wissenschaftlerin und Professorin für Genombasierte Surveillance und Epidemiologie multiresistenter Erreger am Institut für Hygiene und Umweltmedizin der JLU. Hierbei ließen sich die erhobenen Daten in digitaler Form in Kooperationen leicht austauschen, um schnell wichtige Entwicklungen von überregionaler oder internationaler Relevanz sichtbar zu machen.

Die Studie unterstreicht einmal mehr auch die Bedeutung der Entwicklung neuer Antibiotika, die einen Schwerpunkt im DZIF darstellt. Das DZIF ist Gründungsmitglied der jüngst gebildeten Initiative INCATE, mit der die Pipeline für neue Medikamente gefüllt werden soll.

 

  • Publikation

Nordmann P, Yancheng Y, Falgenhauer L, Sadek M, Imirzalioglu C und Chakraborty T: Recent emer-gence of aztreonam-avibactam resistance in NDM and OXA-48 carbapenemase-producing Esche-richia coli in Germany
Antimicrobial Agents and Chemotherapy 23. August 2021: https://journals.asm.org/doi/10.1128/AAC.01090-21

 

  • Kontakt


Institut für Medizinische Mikrobiologie
Justus-Liebig-Universität &
Deutsches Zentrum für Infektionsforschung (DZIF)
T: +49 641 99-41250

 

Presse, Kommunikation und Marketing • Justus-Liebig-Universität Gießen • Telefon: 0641 99-12041



Schlagwörter
Forschung