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Wie sich frühe Gesellschaften an klimatische Veränderungen anpassten

Interdisziplinäres Forschungsteam präsentiert neues Rahmenwerk zu Wechselwirkungen zwischen Klima und Gesellschaft

Nr. 31 • 25. März 2021

Die Anzeichen des gegenwärtigen, vom Menschen verursachten Klimawandels werden immer alarmierender. Damit stellt sich auch die Frage, wie vergangene Gesellschaften auf natürliche – allerdings weniger gravierende – Klimaveränderungen reagierten. Eine wachsende Zahl von Untersuchungen zeigt, dass die Auswirkungen klimatischer Veränderungen auf frühere Bevölkerungsgruppen selten so unmittelbar waren, dass sie die Gemeinschaften in eine Krise oder gar einen Zusammenbruch stürzten. Ein internationales Forschungsteam, an dem auch Dr. Elena Xoplaki vom Institut für Geographie und dem Zentrum für internationale Entwicklungs- und Umweltforschung (ZEU) der Justus-Liebig-Universität Gießen (JLU) beteiligt ist, hat nun in der renommierten Fachzeitschrift Nature ein Rahmenwerk zur Erforschung der Geschichte von Klima und Gesellschaft vorgestellt. Es soll dazu beitragen, weitere Beispiele von Resilienz in der Vergangenheit zu identifizieren und damit die Bemühungen zur Anpassung an den gegenwärtigen Klimawandel zu unterstützen, aber auch unbedingt nötige Anstrengungen zu unternehmen, um die globale Erwärmung drastisch und rasch zu reduzieren. Das Team zeigt darin zudem fünf Wege auf, mit Hilfe derer sich vormoderne Bevölkerungen an Klimaveränderungen angepasst haben.

„Wir wollten herausfinden, warum sich so viel Forschung in diesem Bereich auf Katastrophen konzentriert und wie wir mehr Forschung zu den Strategien anregen können, die es früheren Bevölkerungen ermöglichten, mit dem Klimawandel zurechtzukommen“, sagt Dagomar Degroot, Assoziierter Professor für Umweltgeschichte an der Georgetown University in Washington und Erstautor der Studie. „Mit diesem Rahmenwerk unterstützen wir andere Forscherinnen und Forschern dabei, vielfältigere Verbindungen zwischen Klima und Gesellschaft zu finden, was zu einem realistischeren Verständnis der Vergangenheit als auch zu einem besseren Leitfaden für die Zukunft führen kann.“ An der Studie sind Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus den Disziplinen Archäologie, Geographie, Geschichte und Paläoklimatologie beteiligt.

Anhand des neu entwickelten Rahmenwerks erstellte das Forschungsteam Fallstudien von Gesellschaften, die sich an zwei der am häufigsten untersuchten Perioden klimatischer Veränderungen anpassen konnten: die spätantike Kleine Eiszeit des sechsten Jahrhunderts und die Kleine Eiszeit des 13. bis 19. Jahrhunderts. „Obwohl beide Perioden viele Gemeinschaften in Bedrängnis brachten, zeigen unsere Fallstudien, dass sich die Bevölkerungen in fünf Dimensionen anpassen konnten“, so Dr. Xoplaki. „Sie ergriffen neue sozioökonomische Chancen, verließen sich auf robuste Energiesysteme, generierten neue Ressourcen durch Handel, reagierten effektiv politisch auf natürliche Extremereignisse oder migrierten in neue Umgebungen.“

Ein Beispiel für diese Widerstandsfähigkeit ist im spätrömischen östlichen Mittelmeerraum zu finden. Umweltrekonstruktionen anhand von See-Sedimenten, Mineralablagerungen z.B. in Höhlen sowie andere Daten, die indirekte Anzeiger für das Klima sind (sogenannte Proxydaten), zeigen erhöhte Niederschlagsmengen im Winter, die im fünften Jahrhundert begannen und bis in die spätantike Kleine Eiszeit andauerten. Mit Pollendaten und archäologischen Oberflächenuntersuchungen konnten die Forscherinnen und Forscher nachweisen, dass Getreideanbau und Weideviehhaltung infolge der vermehrten Niederschläge florierten. Dadurch nahmen viele Siedlungen an Dichte und Fläche zu. Regionale Wirtschaftspraktiken ermöglichten einen einfachen Warenaustausch zwischen den Gemeinden und ließen die Verbraucherinnen und Verbraucher an den Vorteilen der erhöhten landwirtschaftlichen Produktion teilhaben. Währenddessen investierten die Eliten in eine marktorientierte Landwirtschaft und finanzierten den Bau von Dämmen und anderer Infrastruktur, die es den Landwirten ermöglichte, das Wasser effektiver zu verwalten.

„Obwohl die Klimaveränderungen, mit denen historische Gesellschaften konfrontiert waren, weniger schwerwiegend waren als die Veränderungen, denen wir heute gegenüberstehen, zeigen diese Fallstudien doch, dass sich Gemeinschaften und Gesellschaften häufig anpassen und in Zeiten klimatischer Veränderungen bestehen konnten“, sagt Dr. Xoplaki. „Heute sind natürlich andere und viel ehrgeizigere Anpassungsmaßnahmen vonnöten, um den Herausforderungen der beispiellosen globalen Erwärmung zu begegnen.“

Eine weitere Erkenntnis aus der Studie: Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die sich mit der Geschichte des Klimas und der Gesellschaft befassen, stellen überzeugendere Verbindungen zwischen der Klima- und der Menschheitsgeschichte her, wenn sie in konsistenten Gruppen interdisziplinär zusammenarbeiten und dabei auf Konsilienz setzen. „Wir arbeiten nun schon einige Jahre in diesem Rahmen in den Sozial- und Naturwissenschaften zusammen“, so Dr. Xoplaki. „Dieser ebenso umfassende wie herausfordernde Ansatz liefert sehr solide Ergebnisse.“

  • Publikation

Dagomar Degroot, Kevin Anchukaitis, Martin Bauch, Jakob Burnham, Fred Carnegy, Jianxin Cui, Kathryn de Luna, Piotr Guzowski, George Hambrecht, Heli Huhtamaa, Adam Izdebski, Katrin Kleemann, Emma Moesswilde, Naresh Neupane, Timothy Newfield, Qing Pei, Elena Xoplaki, Natale Zappia: Towards a Rigorous Understanding of Societal Responses to Climate Change. Nature 591, pages 539–550 (2021). DOI: 10.1038/s41586-021-03190-2

  • Weitere Informationen

https://dx.doi.org/10.1038/s41586-021-03190-2

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Forschung