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Wie aus Stammzellen Herz- oder Nervenzellen werden: Molekulare Mechanismen bei der Zelltypentwicklung

Studie zur Rolle des Proteins HMG20A in der Regulation der Erbinformation während früher Entwicklungsprozesse

Nr. 23 • 17. Februar 2023 
 
Herzmuskelzellen
Herzmuskelzellen, die sich aus embryonalen Stammzellen der Maus entwickelten, unter dem Mikroskop: Die unmanipulierten Zellen oben bilden große Zellkomplexe und schlagen bereits im Takt. Das untere Bild zeigt im Vergleich Zellen, aus denen das Protein HMG20A entfernt wurde. Sie bilden nur kleine Zellkomplexe und können nicht schlagen. Fotos: Jie Lan und Sandra Hake
Um besser zu verstehen, wie sich Zellen und Organe entwickeln und differenzieren, hat ein internationales Forschungsteam um Prof. Dr. Sandra B. Hake vom Institut für Genetik der Justus-Liebig-Universität (JLU) den Prozess der Verpackung und Regulation der DNA untersucht. Dabei stellten die Forscherinnen und Forscher fest, dass das Protein HMG20A eine große Bedeutung für die frühe Embryonalentwicklung und insbesondere für die Differenzierung von embryonalen Stammzellen hat. Die Ergebnisse wurden im renommierten Fachjournal “Nature Communications” veröffentlicht. 
 
In allen Organismen, die einen Zellkern enthalten, wird die genetische Information (DNA) mit Hilfe verschiedener Proteine (Histone) „verpackt“. Dieses genetische Verpackungsmaterial, das so genannte Chromatin, reguliert unter anderem die Bildung von Kopien bestimmter DNA-Bereiche (Gene) in Form von RNA und bestimmt, welche Erbinformationen zu welchem Zeitpunkt kopiert (transkribiert) werden. Um diese Regulation präzise zu ermöglichen, arbeiten viele verschiedene, zum Teil zelltypspezifische, Proteinkomplexe zusammen, die die Chromatinstruktur gezielt verändern können. 
 
Angeführt von dem Doktoranden Andreas Herchenröther konnte das Team HMG20A als assoziiert mit der Histonvariante H2A.Z, die Gegenstand vieler weiterer Forschungsprojekte in der Arbeitsgruppe von Prof. Hake ist, sowie mit weiteren Chromatin-modifizierenden Komplexen identifizieren. Interessanterweise bindet HMG20A an bestimmte regulatorische DNA-Regionen, sogenannte Promotoren und Enhancer – ein erster Hinweis auf eine Funktion des Proteins bei der Genregulation. Tatsächlich zeigten Kaulquappen, denen das HMG20A-Protein halbseitig fehlte, große Probleme bei der Kopf- und Herzentwicklung. Diese Defekte konnte das Team auf Schwierigkeiten während der sehr frühen Neuralleistenentwicklung zurückführen. 
 
Das Team entfernte HMG20A auch in embryonalen Stammzellen der Maus und stellte ähnliche Differenzierungsdefekte fest. Es zeigte sich, dass schon in sehr frühen Stadien spezielle und wichtige Transkriptionsprogramme dereguliert waren und die Chromatinstruktur in vielen Genombereichen verändert war. Das Protein ist demnach ein Schlüsselmodulator komplizierter Transkriptionsprogramme während der Embryonalentwicklung, die unter anderem die Differenzierung von Neuralleisten- und Herzzellen steuern.
 
Wie das Protein HMG20A diese Transkriptionsprogramme genau reguliert, welche Funktionen seine verschiedenen Bindungsproteine dabei übernehmen und ob eine Deregulierung von HMG20A in menschlichen Erkrankungen eine Rolle spielt, soll in den nächsten Jahren durch das Forscherteam geklärt werden. Neben der JLU waren die Philipps-Universität Marburg, das Max-Planck-Institut für Biochemie in München und die Universität Sydney in Australien an der Publikation beteiligt. 
  • Publikation

Herchenröther, A., Gossen, S., Friedrich, T. et al. The H2A.Z and NuRD associated protein HMG20A controls early head and heart developmental transcription programs. Nat Commun 14, 472 (2023).

https://doi.org/10.1038/s41467-023-36114-x
 
  • Weitere Informationen
 
  • Kontakt
Prof. Dr. Sandra B. Hake, Institut für Genetik
Telefon: 0641 99-35460
E-Mail: sandra.hake
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Schlagwörter
Forschung