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Millionen Augenblicke: Mitmachforschung zu Augenbewegungen im Gießener Mathematikum

Gemeinsames Forschungsprojekt von JLU Gießen und Mathematikum will größten Datensatz der Welt erheben, um menschliche Augenbewegungen zu verstehen

Nr. 37 • 22. März 2022

Prof. Dr. Martin Kramer, Dr. Ben de Haas, Marcel Linka und Prof. Dr. Albrecht Beutelspacher bei der Eröffnung des Exponats. Foto: JLU/Till Schürmann

Vizepräsident Prof. Dr. Martin Kramer ist auch als Proband dabei. Foto: JLU/Till Schürmann
„Schenken Sie uns einen Augenblick? Oder besser ein paar Hundert?“ Der Doktorand Marcel Linka zeigt stolz auf die Holzkabine, deren Innenleben er programmiert hat und die jetzt im ersten Stock des Gießener Mathematikums steht. Der begehbare Kasten erinnert an einen Passbildautomaten und sticht zwischen den anderen Exponaten des Mitmachmuseums hervor, wegen seiner Größe und einer riesigen aufgedruckten Iris. Wer sich hinein traut, sitzt vor einen Bildschirm, auf dem Erklärvideos und Bilder gezeigt werden. Der Clou: dabei werden die individuellen Blickbewegungen von einer speziellen Kamera verfolgt. Wer mitmacht, kann am Ende seine Augenblicke mit denen anderer vergleichen.

Linkas Einladung ist also durchaus wörtlich zu verstehen. Er ist Sehforscher an der Justus-Liebig-Universität Gießen (JLU) und will mit Hilfe des Mathematikums den weltweit größten Datensatz zu Blickbewegungen erheben. „Normalerweise laden wir für solche Studien ein paar Dutzend Freiwillige ein, die dann in unser Labor kommen“, erklärt Dr. Ben de Haas, der Linkas Doktorarbeit betreut. „Aber vor gut zwei Jahren haben wir herausgefunden, dass Blickbewegungen viel individueller sind, als man bis dahin dachte. Da kommt man mit so kleinen Stichproben nicht weit.“ Das neue Exponat bzw. Forschungsprojekt ist am Montag offiziell eröffnet worden.

Linka erklärt den Hintergrund: „Unsere Netzhaut kann nur einen sehr kleinen Bereich klar auflösen. Deswegen ist Sehen auf sprunghafte Augenbewegungen angewiesen. Wir alle machen mehrere dieser Blickbewegungen pro Sekunde, aber eben auf ganz unterschiedliche Art und Weise.” Für seine Doktorarbeit entwickelte Linka einen Fünf-Minuten-Test, um solche Blickbewegungen zu vermessen. Teilnehmende schauen dafür lediglich auf ein paar Bilder alltäglicher Szenen. „Den meisten ist wahrscheinlich gar nicht klar, welche Kunststücke ihr Gehirn dabei vollbringt“, erklärt er. „Mit dem Exponat können wir den individuellen Tanz der Augen sichtbar machen. Das fasziniert hoffentlich nicht nur uns.“

Der ehrgeizige Anspruch der Sehforscher: Mindestens 10.000 Teilnehmende gewinnen und so „Millionen Augenblicke“ vermessen – der Name des Projekts ist also Programm. „Alle, die mitmachen, können einen ganz besonderen Einblick in die eigene Wahrnehmung gewinnen“, ist de Haas überzeugt. „Und jeder bzw. jede unterstützt damit wichtige Grundlagenforschung, die am Ende auch zur diagnostischen Nutzung von Augenbewegungen beitragen kann. Deswegen freuen wir uns sehr, dass das Mathematikum die Idee von Anfang an mitgetragen hat und dass der europäische Forschungsrat das ganze finanziert. Aber der entscheidende Teil kommt erst jetzt, mit den Besucherinnen und Besuchern. Wir drücken ganz fest die Daumen, dass viele sich von unserer Begeisterung anstecken lassen und ihren inneren Sehforscher entdecken!“

 

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Forschung