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Gießener Anzeiger vom 29.6.2006

Nicht an "albernen Flaschen mit modischen Saugventilen nuckeln"

Prof. Willi-Eckhard Wetzel erklärte bei Justus’ Kinderuni das "richtige Zähneputzen"

GIESSEN (fm). Der Organisator von Justus’ Kinderuni, Günter Sikorski, hatte im Philosophikum II alle Hände voll zu tun, um rund 400 kleine Nachwuchs-Studenten -- viele von ihnen in Begleitung ihrer Eltern, die an den Seiten sitzen durften -- auf den breiten Mitteltrakt des Hörsaals 25 zu verteilen. Dass er die Jungen und Mädchen vor Beginn der dritten Kindervorlesung im Sommersemester zu einem lautstarken "Probeklopfen mit den Knöcheln" animierte, erwies sich als vorausschauend. Immer wieder spendeten die Acht- bis Zwölfjährigen "Studiosi" Prof. Willi-Eckhard Wetzel, dem Direktor der Poliklinik für Kinderzahnheilkunde an der Gießener Uniklinik, später Beifall für alles, was er ihnen über das "richtige Zähneputzen" und die fatalen Folgen -- Karies "heißt auf deutsch `Zahnfäule´" -- erzählte. Wetzels Ausführungen über die Entstehung von Karies, die zerstörerische Wirkung von Schmutzbelägen auf der Zahnoberfläche, die richtigen Methoden und Instrumente zur optimalen Zahnpflege und vor allem seine Fotos von schwerstgeschädigten Kinderzahnreihen sorgten von Anfang an für hohe Aufmerksamkeit. Voller Spannung hielt es manche Kinder nicht auf dem Klappsitz. Sie standen auf um nur nichts zu übersehen oder zu überhören. Andere nuckelten gedankenverloren an einem Finger, während Wetzel die verbreitete Unsitte von "Rennfahrerflaschen mit Nuckelventilen" als einen der Hauptfeinde des Zahnschmelzes verurteilte ("Schmeißt die Dinger weg!").

Schon neunjährige Kinder hätten im Schnitt zwei an Karies erkrankte Zähne, sagte der Experte, der in Deutschland seit vielen Jahren das Dauer-Nuckeln an süßen Getränken wie Instant-Tees für schlimmste Zahnschäden verantwortlich macht. In den Zahnbelägen befänden sich Bakterien und Mini-Pilze. "Diese Tierchen greifen sich die süßen Sachen und machen daraus Säuren." Auf diese Weise werde selbst der Zahnschmelz, "das härteste Gewebe, das wir in unserem Körper haben", weich und löchrig.

Entgegen der verbreiteten Eltern-Meinung, dass gründliches Zähneputzen allein als Schutz gegen Karies reiche, betonte Wetzel, dass sich Schmutzbeläge in den Kaufurchen der Backenzähne, am Zahnhals am Übergang zum Zahnfleisch und in den engen Zahnzwischenräumen nur sehr schlecht entfernen ließen. Am besten geeignet fürs Zähneputzen seien Zahnbürsten "mit einem dicken Griff", weil sie mit der ganzen Faust gehalten werden könnten. Dass Kinder "eine leichte und eine schwere Putzseite" im Mund haben, bestätigten die Hörerinnen und Hörer durch lebhaften Applaus. Neben einer "richtigen" Zahnbürste und einer fluoridhaltigen Zahnpaste gehörten auch ein kleiner Kindermundspiegel und Anfärb-Pastillen zur Mundhygiene, empfahl der Vortragende. Neu war für einige Kinder die von ihm propagierte KAI-Putzmethode (erst die Kauflächen bürsten, dann die Außenflächen, zuletzt die Innenflächen der Zähne).

Eindringlich warnte Wetzel vor Speisen und Getränken "die mit Fabrikzucker angereichert sind". Nur "zahnfreundliche Süßwaren" kaufen, lautete seine Empfehlung. Deren Verpackung ist mit einem gesetzlich geschützten "Zahnmännchen mit Regenschirm" gekennzeichnet.

Brackets lassen sich mit einer Mini-Zahnbürste mit nur einem Borsten-Büschel reinigen, und Äpfel sollen gekaut und nicht als Apfelsaftschorle oder Apfelmus genossen werden. Dass selbst erwachsene Männer wie die Stars der Fußball-WM "an albernen Flaschen mit den modischen Saugventilen nuckeln", macht sie in Wetzels Augen zu "großen Kindern". "Dabei werden immer die oberen Zähne umspült und geschädigt." Nach seinem Vortrag wurde Wetzel zwanzig Minuten lang von Kindern umringt, die ihm ihre persönlichen Zahnprobleme schilderten und um Rat baten.