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Gießener Anzeiger vom 13.7.2006

Spurensuche mit Pinseln und Computern

Prof. Wolfram Martini zog bei "Justus` Kinderuni" junge Hörer mit Geschichten über archäologische Grabungen in seinen Bann

GIESSEN (fm). Schon vor Beginn der letzten Vorlesung im laufenden Semester hatten die beiden Auszubildenden in der Uni-Verwaltung, Anna Roth und Sofia Ghebreizghiabiher, alle Hände voll zu tun. Ab 16 Uhr war ihr vor dem Hörsaal 25 aufgestelltes Tischchen von Jungs und Mädchen umlagert. Zeitgleich mit dem vierten Stempel auf ihrem "Studentenausweis", der ihre lückenlose Teilnahme am dritten Durchgang von "Justus' Kinderuni" bestätigte, erhielten sie das begehrte Zertifikat mit dem Porträt Justus von Liebigs unterzeichnet von Uni-Präsident Prof. Dr. Stefan Hormuth ausgehändigt. Für Sarah und Marco aus Kleinlinden sowie Thomas aus Rödgen -- alle drei sind neun Jahre alt - ist es schon die dritte Urkunde. Nicht weniger stolz ist die achtjährige Lisa aus Pohlheim, die zum ersten Mal alle vier Veranstaltungen der Kinderuni besucht hat.

Trotz 32 Grad im Schatten kamen wieder mehrere hundert Kinder - viele von ihnen mit Erfrischungsgetränken ausgerüstet -- zu Prof. Wolfram Martinis spannender Power-Point-Präsentation "Wie finden wir eine verschollene Stadt?" Der am Institut für Altertumswissenschaften der Justus-Liebig-Universität (JLU) lehrende und forschende Archäologe hat von 1993 bis 2004 mit seinem Team in Perge in der südlichen Türkei bei einem gemeinsamen Projekt mit der Universität Istanbul Ausgrabungen durchgeführt. Ziel war es, eine dort vermutete "alte" griechische Stadt in der Nähe der "neuen" römischen Stadt wieder zu finden.

Mit eindrucksvollen Fotos und Bildern machte Martini klar, dass archäologische Methoden mühsam und zeitaufwändig sind und dass die Mitarbeiter mit ihren Kellen, Spachteln und Pinselchen äußerst vorsichtig zu Werke gehen müssen. Eine Mammutaufgabe, wenn auf einer Fläche, "so groß wie 3000 Fußballfelder", im wahrsten Sinne des Wortes kein Stein auf dem anderen bleibt. Von Anfang an, schon bei Beginn der Ausgrabungen der römischen Stadt Perge vor 60 Jahren, hatten Archäologen in der Umgebung nach einer noch älteren Stadt gesucht. Ohne Erfolg.

Das Team der Gießener Universität, tatkräftig unterstützt von türkischen Helfern, konnte im Laufe der Jahre bei jeweils fünfwöchigen Aufenthalten vor Ort tatsächlich die Frühgeschichte der Stadt Perge entschlüsseln. "Wir Archäologen müssen Altgriechisch lernen", sagte Martini bei der Präsentation von alten Inschriften auf antiken Münzen und Sockeln für Statuen. "Und wir brauchen sehr viel Geduld."

Interessiert lauschten die jungen Hörer seinen Exkursen über den 2000 Meter hohen Tafelberg in der Nähe von Perge, seinen Bemerkungen über das Trojanische Pferd, Odysseus und die Schöne Helena. "Perge wurde vor 3189 Jahren gegründet", sagte der Experte. "Aber wir wollten nicht glauben, dass die Stadt von den Helden von Troja gebaut wurde, wie es die Sage erzählt."

Spannend, was Martini über die Aussagekraft gefundener Ziegel und Scherben von Wohngefäßen zu erzählen wusste. Und von antiken Silbermünzen. "Nach wenigen Wochen wussten wir: Hier haben Griechen gelebt." Damit war bewiesen: Die alte Sage stimmt.

Bei den Arbeiten mussten 3000 Jahre alte Mauerreste sorgfältig abgepinselt werden, "zum Teil bei mehr als 50 Grad". Computerprogramme sortierten die von leicht magnetischen Tonscherben ausgehenden Signale zu einem Punkteraster.

Nach der Vorlesung wurde Martini noch lange mit Fragen seiner jungen Hörer eingedeckt. Für große Augen sorgte seine Bemerkung, dass er schon als Student auf Gräberfeldern Skelette ausgegraben habe. "Aber daran gewöhnt man sich."

Der nächste Zyklus von Justus' Kinderuni beginnt am 14. November 2006 mit einer Unterrichtsstunde beim Universitätsorchester. Ort: Audi Max des Uni-Hauptgebäudes.