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Zeitung vs. Geschichtsschreibung: thematische Ordnung (Stieler 14f.)

Beispiele zur (Geschichte der) Pressekritik

Der Sprachverderber-Vorwurf: Fremdwörter

"Nun kommen wir auff die zeittung-macher und zeittung-schreiber; da höret einer wunder uber wunder/ wie die zeittungen mit allerhand frembden wörteren angefüllet werden. Wie mancher einfältiger Mensch der etwann die zeittung ... liset/ verstehet kaum daß halb theil. Es were von nöthen daß einer allzeit zwen Männer neben jhm stehen hätte/ einen Frantzosen zur rechten/ unnd Lateiner zur lincken seiten/ welche jhme solche frembde wörter verteutscheten. (...) Artillerie wird vor Geschütz gebrauchet/ Bataille vor schlacht-ordnung. Avant garde, vorzug. Cavallerie, Reuterey. Infanterie, Fußvolck. Quarnison, besatzung. Fourage, füterung/ und dergleichen mehr/ (...) daß es eine grosse schand unsere weitleufftige sprach nicht nur im reden/ sondern auch im schreiben und offenem Truck also einzuzihen und hinderhalten/ auch an derselben statt frembde wörter ein zuführen. (...) Es ist manches mahlen ein Frantzos welcher der Teutschen sprach auch gantz unerfahren/ jedoch die getruckte Zeittungen/ welche Teutsch sein sollen/ besser als ein Teutscher verstehet. Warumb? All dieweil mehrers wörter unteutsch und Frantzösisch sein."

(Ch. Schorer: Teutscher unartiger Sprach-, Sitten- und Tugendverderber, 1644)

Stieler: Zeitungs Lust und Nutz 1695

Zeitung vs. Geschichtsschreibung: thematische Ordnung (Stieler 14f.)

5. Denen Zeitungen haben wir es zu danken/ daß vieler Völker Gesetze/ Ordnungen/ die Ratschläge/ Kriege und Siege mit vielerhand merklichen ümständen von gelehrten Männern geschrieben und/ zu jedermanns Wissenschaft/ ausgebreitet worden.

Dahero hat auch die Zeitung mit den Historien so eine grosse verwantnüß/ und ist darzwischen kein ander unterscheid/ als/ daß die Historie ihre Ordnung hält und bey einer Sache bleibet die Zeitung aber in allerhand Königreiche fleuget/ bald über Meer streichet/ bald in die neue Welt horchet und <15> stückweise heraus holet/ was von einem Tage zum andern alda vorgehet. Und/ gleich wie die Historie ohne die Zeitung nicht fortgesetzet werden mag: Also hätte diese so viel Nutzen und Glauben nicht/ wann sie den Strich ihrer Gültigkeit nachgehends aus jener nicht haben noch halten möchten.

Thematische Zerstückelung und Zusammenhanglosigkeit; Fehlen von Kommentaren; Neuigkeit (Stieler 27ff)

Die Zeitungen aber können darum nicht allezeit just eintreffen/ weil sie denen einkommenden Schreiben folgen/ und der Herausgeber selbst nicht wissen kan/ ob es lauter Evangelia seyn oder nicht/ was ihnen zugeschrieben wird/ sondern es mit ihm heisset: Ich halte mich an meinen Berichter. Darum auch der ausgebrachten dinge Bestätigung oder Nichtigkeit oft folglich erst zu erwarten stehet.

6. Die Ordnung kan auch in denen Zeitungen unmüglich beobachtet werden/ welchen fals die Zeitungsschreiber von denen Geschichten nicht weniger zuunterscheiden seyn. Sintemal ihnen bald aus Rom/ bald aus Paris/ bald aus Wien/ bald aus den Norden Königreichen/ Polen/ der Tartarey und Türkey etwas zugeschrieben wird/ welches sie so hin geben/ wie es ihnen zu gekommen ist/ unbekümmert/ ob es aneinander hange oder nicht? Dahingegen ein Geschichtschreiber bey seinem vorgesteckten Ziel verbleibet und selten ausschweifet/ es müsse dann eine fremde Begebenheit ihm eine Gelegenheit geben/ den Grund künftiger Verwirrung anzuzeigen/ und dar auf zu bauen/ was er ferner zuerzehlen vor nötig erachtet: Welches jedoch der Zeitungsschreiber auch zuweilen wol tuht.

7. Ob auch schon eben so wol in der Historie/ als denen Zeitungen getadelt wird/ ein Urteil über die vorgehende Sache zu fällen; So ist doch solches mehr in diesen als jener verwerflich. Denn man lieset die Zeitungen darüm nicht/ daß man daraus gelehrt und in beurteilung der Sachen geschickt werden/ sondern daß man allein wissen wolle/ was sich hier und dar begiebet. Derowegen die Zeitungs-schreiber/ mit ihrem unzeitlichen Richten zu erkennen geben/ daß sie nicht viel neues zu berichten haben/ sondern bloß das Blat zu erfüllen/ einen Senf darüber her machen/ welcher zu nichts anders dienet/ als/ daß man die Naseweysheit derselben verlachet/ und gleichsam mit Füssen tritt/ weil sie aus ihrer Sfäre sich verirren/ wo sie nicht anders/ als straucheln und versinken können.

Aktualität (Stieler 29f)

2. Zu föderst muß dasjenige/ was in die Zeitungen kommt/ Neue seyn. Denn darum heissen die Zeitungen Novellen/ von der Neulikeit/ und würde der wol ein selzamer Heiliger seyn/ der in die Zeitung bringen wolte/ was Alexander Magnus/ der Mahomet/ oder <30> Tafilett vor langen Jahren getahn haben. Denn was gingen solche verlegene Sachen unsern itzigen Zustand an? Neue Sachen sind und bleiben angenehm: was aber bey voriger Welt vorgangen/ gehöret ins alte Eisen/ und ersättiget das Lüsterne Gemüt keines weges. So wenig/ als wann die Zeitungs-schreiber etwas/ das schon zehenmal vorkommen wiederholen/ als wie Z.e. der Don Jan de Austria eine Reise nach dem Spanischen Niederlanden vor hat/ und doch nimmermehr von Madrid abreiset: Wenn eine verlobte Prinzessin zu ihrem Breutigam will/ und immer auf dem Wege ist/ jedoch nirgends anlendet: Wenn ein General seine Abfertigung hat/ die Pakasche voraus schicket/ und doch immer auf einer Stelle sitzen bleibet: Wann man bald diese bald jene Festung berennet/ kein Mann aber vor dieselbige ankommet. Solche Zeitungen machen den Lesern einen Verdruß und Ekel/ also/ daß er in seinem Herzen flucht über den Zeitungs-schreiber/ der stets von einerley redet/ und das so vielmalgesagte nur mit veränderung einpar Umstände recapituliret. Wie nun/ was alt ist/ vor ein neues nicht passiren kan: Also vergnüget es das Verlangen nach dem Fort- und Ausgange auf keinerley Weise.

Wunderzeichen (Stieler 31f)

Insonderheit trauen sie nicht jedwedem Geschrey/ das in der Stadt und Lande/ wo sie wohnen/ ausgesprenget wird/ weil man auch über die Gasse zu lügen pfleget/ bevorab was die Wunder-Werke betrifft/ als: daß drey Sonnen am Himmel gestanden/ daß es auf eine gewisse Strecke Korn geregnet <32> habe/ das eine Stats-Dame mit einer Fontange mit der Ruten in einer; und mit einem Crucifix in der andern Hand/ am hellen Tage in der Luft gesehen worden sey/ und was der Treume mehr sind. Denn eben darum haben die Zeitungen so einen bösen Namen und Glauben/ weil sie oft mit so vielen Fabeln ausgespicket werden und darüber ihren Beyfall auch in warhaftigen Dingen verlieren.

Lügen vs. quellengestützt berichten

"Der fürnemste Vorwurf wider die Zeitungen ist/ daß sie Ungewiß und Lügenhaft wären (...) Herr Kanzler Fritsch ziehet an besagtem Orte den vornehmen Geistlichen Dr. Mengeringen an/ welcher unter die Gewissenssachen zehlet/ wann jemand verlogene Zeitungen ausstreuet/ in dem er spricht: Frage dich nach dem achten Gebot/ ob du mit Avisen und neuen Zeitungen weidlich ins Land gelogen/ etwas vor gewiß und warhaftig ausgebreitet und spargiret/ daß doch alles erstunken und erlogen gewesen? (...) Und Herr Christian Weise wünschet in seinem Bericht von der Zeitungs-Lesung: Wolte GOTT! daß diejenige/ so die Zeitung zusammen zu tragen haben/ wann sie je das wahre von dem falschen nicht unterscheiden können/ das Blat mit solchen Erzehlungen nicht anfüllen möchten (...) Nicht ist zuverneinen/ daß auch ein Zeitungs-Schreiber ein Mensch sey/ der nicht vollkommen ist/ und irren kan: alleine/ Er schreibet nicht: dieses und jenes habe ich mit meinen Augen gesehen/ mit meinen Ohren gehöret/ und mit meinen Händen betastet/ sondern setzet bey jeder Zeitung oben über/ den Ort und das Datum/ oder den Tag/ meldet auch wol dabey: aus Turin/ von Brüssel/ von Peterwardein etc. wird berichtet: Ein Courier aus der Armee bringet mit: Es wil verlauten/ ob solte etc. und darmit verwahret er sich zur genüge/ indem er es ausgiebt/ wie er es empfangen hat. Und/ ob auch gleich aus einem nahen Ort etwas unrichtiges eingelaufen wäre/ so ist er doch nicht schuldig/ eigene Boten dahin zu schicken/ Nachfrage zu tuhn/ und darüber gewisse Leute beeydigen zulassen. Der leuget nicht/ wer ohne bösen Vorsatz eine Sache/ die sich hernach anders befindet/ erzehlet/ zumal/ wann er nicht vermutet/ daß es unwahr sey." (Stieler, ed. Hagelweide, S. 56-58)

Kommentar zur Stieler-Passage Lügen vs. quellengestützt berichten

  • Bezug zu Vorwürfen, die in der Diskussion vorgebracht wurden, bes. Vorwurf der Lüge;
  • Bezug auf ältere Autoren der Pressedebatte: hier Ahasver Fritsch und Christian Weise
  • Analyse des Handlungsmusters quellengestütztes Berichten
    -- sprachliche Mittel der Quellenkennzeichnung
    -- Reichweite der Gewährleistungspflicht
    -- keine Pflicht zur Nachprüfung
    -- Intention/fehlende Täuschungsabsicht ("ohne bösen Vorsatz")
    -- Wissensbedingungen: "wann er nicht vermutet/ daß es unwahr sey";
    -- Unterschied zum Lügen
  • ganz ähnliche Analyse bereits früher bei Hartnack 1688, Seite 86-94 ("Ein anders ist etwas falsches reden/ an anders liegen. Denn nicht ein jeder lieget alsofort wenn er falsch redet. ... Nun pfleget aber der Nouvellisten Symbolum seyn: Relata refero: Wie mirs verkaufft ist/ so geb ichs wieder..."; 89f.)

Die »Relation aus dem Parnasso« (1658)

Die »Relation aus dem Parnasso« vom Jahr 1658 ist ein pressegeschichtliches Zeugnis, das meines Wissens noch nicht im Bestand der Beiträge zur Zeitungsdebatte des 17. Jahrhunderts verzeichnet ist. Es handelt sich um eine Flugschrift von anderthalb Quaternionen (A1r-B2v), in der neben historischen Fragen vor allem zwei Punkte behandelt werden:

  • die informationspolitischen Umtriebe der Jesuiten
  • die Beschäftigung der Kaufleute mit Zeitungen

Die literarische Fiktion, in der diese Punkte behandelt werden, ist als Bericht über einen Besuch von drei »Helden« im Parnass angelegt. Als Reaktion auf ihre Aussagen setzt Apoll zwei Mandate auf: im ersten Mandat werden die Jesuiten in ein fernes Arbeitslager verbannt, im zweiten wird den Kaufleuten verboten, Nachrichtenhandel zu betreiben und sich während des Geschäfts auch nur gesprächsweise mit »Kriegs- und Regiments-Sachen« zu befassen. Vier Motive aus der Zeitungsdebatte tauchen auch in der Begründung für dieses Verbot auf. Erstens nimmt der Handel dadurch Schaden und der Kaufmann versäumt seine regulären Pflichten. Zweitens werden dem Kaufmann die nötigen Kenntnisse und die Urteilsfähigkeit in bestimmten Themenbereichen bestritten (»ihm unbegreiffliche Sachen; ohne fundament«). Drittens werden Neue Zeitungen als unzuverlässig und unwahr gekennzeichnet (»lauter Unwarheit und Vanitäten«). Viertens wird die gesprächsweise Weiterverbreitung von Nachrichten als »unnötige Reden« bezeichnet. Warum diese Gespräche unnötig sind, wird nicht weiter begründet. Ein alter Begründungstopos, der hier infrage kommt, ist die Feststellung, daß einen die betreffenden Themen nichts angehen und daß das Interesse an entfernten Ereignissen Sünde sei. Am Ende der »Relation aus dem Parnasso« ist das von Apoll erlassene Mandat abgedruckt, daß die drei Besucher in Abschrift mitnehmen: »OB wir wol der gäntzlichen Hoffnung gewesen/ es würde der Reiche Orient und die gegen Westen erfundene Länder und Reich so viel Specereyen und andere köstliche Wahren herfür geben können/ daß auch die allerklügesten Handels-Leute mit derer Umsetzung und Verkauffung gnug zu schaffen hätten/ ist nichts desto weniger unlängst zu Ohren gebracht worden/ wie daß sich deren eine grosse Anzahl unterstanden/ eine neue Handlung mit Novellen anzurichten/ und die Stapel zu Amsterdam und Hamburg zu verlegen/ auch über diß anjetzo auff den Börsen nichts/ als von Kriegs- und Regiments-Sachen geredet werden wolle. Wann nun hiedurch den höchstnöthigen Trafiquen nicht allein mercklicher Schade hinzugefüget wird/ in dem sich der Handelsmann mehr umb ihm unbegreiffliche Sachen/ als umb den Preiß der Wahren/ und andere ihm anstehende Dinge bekümmert: Besondern der Neue Zeitungs-Handel auff lauter Unwarheit und Vanitäten gegründet/ worüber ihn keine Octroy ertheilet werden kan: Zumahlen unser freundlicher geliebter Herr Bruder Mercurius seine hierunter tragende displicentz so wol in Schrifften/ als Mündlich/ satsam contestiret/ auch diesem Unheil abzuhelffen. Vns zugleich gültige Plenipotenz auffgetragen. Als befehlen wir für Uns/ und im Nahmen hochgemeldten unsers Herrn Bruders/ allen und jeden/ so sich in erwehnte Compagnie begeben haben/ hiemit ernstlich daß sie nach Publication dieses unsern Befehls von Stund an die gemachte Geselschafft renunciiren/ und bey Verlust des Credits sich von dero Versamblung enthalten. Und im Fall einer oder ander betreten werden soll/ der auff der Börse von andern/ als Handlungs=Sachen/ ohne fundament/ wie sie pflegen/ zu urtheilen sich unterstünde/ wird unsern Fiscalen hiemit anbefohlen/ dergleichen Gesellen die Handelung zu verbieten/ und in dem neuen Prillen=Krahm zu gebrauchen/ auff daß sie hinfüro die alten Weiber damit versehen und mit ihnen der Gnüge nach unnötige Reden anstellen können. Darnach sich ein jeder zu richten und für Schimpff zu hüten. Nach verlesung dieses/ ließ Apollo den Dreyen Helden hiervon Copiam ertheilen: Welche dann/ nach beschehener Dancksagung/ wiedrumb ihren Abschied nahmen und frölich davon zogen.«

Siehe den Text in der Datei parnasso.htm

Karl Kraus

(1) "... wohin der Blick nur fällt, nimmt er wahr, daß sie [die Zeitung] von puren Analphabeten gemacht wird. ...". (1929; Schriften 7, 266)

(2) "... mag der private Ausdruck im deutschen Sprachbereich den Tiefstand der Verkommenheit erreicht haben, er stellt neben der publizistischen Möglichkeit noch immer eine rhetorische Kunstleistung dar. Was öffentlich gesagt wird, ist nur mehr gelallt, gekotzt, ausgeworfen aus Mäulern, die rätselhafter Weise die Bestimmung haben, täglich zum Volke zu reden". (1929; 7, 269)

(3) "Der 'Abend', der außer dem Namen seines Herausgebers kein Fremdwort in seinen Spalten duldet, der sich grundsätzlich nicht an die Adresse, sondern an die Anschrift der Proletarier wendet und dessen Sätze zu neunzig von Hundert nicht deutsch sind, stellte kurz und bündig fest:

Das Berliner Gesundheitsamt meldet, die Krankenhäuser wären überfüllt.

Man erwartet etwa die Fortsetzung: wenn nicht schleunigst neue eröffnet worden wären. Richtig muß es heißen: 'die Krankenhäuser seien überfüllt' oder 'daß die Krankenhäuser überfüllt sind'. 'Sie wären überfüllt' würde geradezu bedeuten, daß das Blatt die Meldung des Berliner Gesundheitsamtes als Lüge hinstellen will. ..." (1927; Schriften Bd. 7, 123f.)