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Neologie in der Romania - Abstract

Forschungsprojekt „Neologie in der Romania“

PD Dr. Yvonne Kiegel-Keicher

 

Abstract

Sprache wandelt sich ständig. Die Lexik ist der Bereich, in dem die Sprechenden den Wandel am deutlichsten selbst wahrnehmen und ihn sogar unmittelbar mitgestalten können. Neue Wörter und Wortformen – Neologismen – entstehen in unbegrenzter Menge und in allen Varietäten der Sprache, in der Gemeinsprache ebenso wie in den Fachsprachen. Mit der Schaffung neuer Wörter wird einem bestimmten Ausdrucksbedürfnis nachgegeben, denn es können damit neue Konzepte, Gegenstände und Techniken bezeichnet, zuvor nie dagewesene Situationen beschrieben oder sich wandelnde gesellschaftliche Konstellationen und Wertvorstellungen benannt werden.

Die Schaffung neuer Ausdrucksmittel kann auf vielfältigem Weg geschehen und verschiedene Quellen nutzen. Bei diversen Verfahren der Wortbildung wird eigenes, sprachintern vorhandenes Material verwendet. Aber auch die Hinzufügung einer neuen Bedeutung zu den bereits etablierten Bedeutungen eines bestehenden Lexems mit den Verfahren der Metapher oder der Metonymie schafft – wenn auch keine neue lexikalische Einheit – so doch ein neues Ausdrucksmittel. Wortmaterial anderer Sprachen wird bei der Entlehnung übernommen. Auch gebundene Morpheme können neu geschöpft sowie aus anderen Sprachen entlehnt und mit etablierten Lexembasen zu neuen Einheiten verknüpft werden.

Allen neuen Morphemen und Lexemen sowie allen neuen Bedeutungen und Verwendungsformen von Lexemen ist gemeinsam, dass sie zunächst einen Normverstoß darstellen: Neologismen laufen den Hör- und Sprechgewohnheiten und der Auffassung darüber, wie „man spricht“ zunächst zuwider. Erst ein vermehrter Gebrauch durch weitere Sprecherinnen und Sprecher, die morphosyntaktische und semantisch-pragmatische Situierung und eine zunehmende soziale Akzeptanz können zur Lexikalisierung der neuen Einheit führen, ihrer Integration also in den bestehenden Wortschatz der Sprache. Damit verliert sie ihren Status als Neologismus und kann selbst produktiv werden, d.h. ihrerseits zur Schaffung weiterer Neologismen beitragen.

Auch in den romanischen Sprachen werden die vielfältigen Verfahren der Wortbildung, der Bedeutungserweiterung und der Entlehnung genutzt. Die Tatsache, dass sie Tochtersprachen des Lateins sind, also über jahrhundertelangen Sprachwandel aus dem Sprechlatein hervorgingen, und zugleich, wie so viele andere Sprachen, seit der frühen Neuzeit aus dem Latein neues Wortgut schöpfen, verleiht ihnen eine ganz eigene lexikalische Struktur, die im Laufe der Zeit verschiedene weitere Einflüsse integrierte. Die enge lexikalische und strukturelle Verwandtschaft der romanischen Sprachen untereinander macht Vergleiche zwischen dem Spanischen und dem Portugiesischen, dem Französischen und dem Katalanischen hinsichtlich der angewandten Verfahren äußerst lohnend. Daraus, dass sich die Sprachgebiete in den soziolinguistischen und sprachpolitischen Voraussetzungen für die Behandlung von Neologie unterscheiden, ergeben sich weitere zahlreiche Fragestellungen, die die Schaffung, Verbreitung und Lexikalisierung von Neologismen betreffen: Welche Verfahren werden bevorzugt bei der Einführung neuer Fachtermini genutzt und welche Institutionen sind dabei involviert? Wie gehen Fachwörter in die Gemeinsprache über, wo sie zunächst erneut als Neologismen zu betrachten sind? Wie schlägt sich gesellschaftlicher Wandel als sprachlicher Wandel nieder und in welcher Beziehung stehen Sprachwandel und Sprachnorm? Welche Auswirkungen können sich an der Schnittstelle zur Morphosyntax ergeben?

In einer Zeit, in der sich der Wortschatz der Sprachen mit großer Geschwindigkeit verändert, um die zahlreichen gegenwärtigen Entwicklungen zu benennen und z.B. Handlungsstrategien im Klimawandel, die Lebenssituation in einer globalen Pandemie oder die Vielfalt sozialer Gruppen in den heutigen Gesellschaften zu versprachlichen, kommt der Erforschung von Neologie ein hoher und ganz aktueller Stellenwert zu.