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Verschlüsse von Blutgefäßen: Wissenschaftler klären den Mechanismus der zellulären Selbstheilung auf

Prof. Dr. Klaus T. Preissner vom Institut für Biochemie der Universität Gießen publiziert mit Kolleginnen und Kollegen von der LMU München im Fachjournal „CELL Reports“ zum Thema „Regeneration von Blutgefäßen“

Nr. 154 • 24. August 2016

Prof. Dr. Klaus T. Preissner Foto: Franz Möller (Archiv JLU-Pressestelle)


Blutgefäße sind das erste Organisations- und Transportsystem unseres Körpers schon während der Embryonalphase. Ohne Blutgefäße wären das Körperwachstum, und damit auch die Bildung von neuen Geweben und Organen, nicht möglich. Im Fokus neuer Forschungsarbeiten, deren Ergebnisse jetzt im Fachjournal „CELL Reports“ publiziert wurden, stehen zelluläre Prozesse, die für die Selbstheilung des Körpers eine immens wichtige Rolle spielen. Autoren der Publikation mit dem Titel Perivascular mast cells govern shear stress-induced arteriogenesis by orchestrating leukocyte function sind Prof. Dr. Klaus T. Preissner vom Institut für Biochemie am Fachbereich 11 – Medizin der Justus-Liebig-Universität Gießen (JLU) und Prof. Dr. Elisabeth Deindl vom Walter-Brendel-Zentrum für Experimentelle Medizin der LMU München sowie weitere internationale Kooperationspartner.

Bei der Arbeit handelt es sich um ein Kooperationsprojekt zwischen JLU Gießen, LMU München und MPI Bad Nauheim. Prof. Deindl hatte die Federführung insgesamt inne; Prof. Preissner koordinierte die Arbeiten in Hessen. Den Expertinnen und Experten ist es gelungen, den Mechanismus der Selbstheilung bei Blutgefäßverschlüssen zu verstehen: Eine regelrechte Kaskade von zellulären Vorgängen ist dafür verantwortlich, dass der menschliche Körper im Falle von Gefäßverschlüssen sogenannte Umgehungskreisläufe („Kollateralgefäße“) bilden kann. Eine Schlüsselfunktion kommt dabei den Mastzellen zu.

Wie erstaunlich die Selbstheilungskräfte des Körpers wirken, erklärt Prof. Preissner: Bei Sauerstoffarmut komme es zur Aussprossung  von neuen Kapillaren aus bestehenden Gefäßen – der Fachmann spricht von Angiogenese – oder zur Vergrößerung von Arterien aus bereits vorhandenen kleinen arteriellen Verbindungen (Arteriogenese). Das Wachstum solcher als „Umgehungskreisläufe“ oder „Kollateral-Arterien“ bezeichneten Gefäße werde etwa durch den Verschluss einer größeren benachbarten Arterie ausgelöst: „Damit stellt der Körper im Herzen oder in anderen Organen eine oft lebensrettende Maßnahme zur Verfügung“. Es handelt sich, so der Biochemiker, „um die einzige physiologisch effiziente Form des Blutgefäßwachstums, die Defizite der Blutzirkulation nach arteriellen Verschlüssen ausgleicht“.  

Gefäßverengungen, beispielsweise in Herzkranzarterien als Folge von sogenannten atherosklerotischen Plaques, führen zur Minderdurchblutung (Ischämie) des Organs und zur  koronaren Herzkrankheit: Die Folge sind vielen Patientinnen und Patienten aus leidvoller Erfahrung als Angina pectoris oder Linksherzinsuffizienz bekannt. Eine chronische Ischämie kann schließlich zum Absterben der Herzmuskelzellen und zum Herzinfarkt führen.

Abhilfe kann ein „natürlicher Bypass“ bringen: Aufgrund seiner „Selbstheilungskräfte“ besitzt der menschliche Körper das Potenzial, einer dauerhaften Minderdurchblutung durch die Bildung von Kollateralgefäßen entgegenzuwirken. Der Gefäßdurchmesser wird durch diese  Arteriogenese auf das bis zu 20-fache gesteigert, was vielfach eine ausreichende Blutversorgung ermöglicht. „Viele Patientinnen und Patienten, die einen nicht wahrgenommenen Gefäßverschluss hinter sich haben, wissen gar nicht, dass sie natürliche Bypässe durch den beschriebenen Prozess gebildet haben“, erläutert Prof. Deindl.

Dennoch stößt die „Selbstheilung“ an ihre Grenzen, wie Prof. Preissner ergänzt. Eine arterielle Verschlusskrankheit, die durch eine Thrombose bedingt ist, laufe meistens zu schnell ab, so dass der langsamere Prozess der Arteriogenese mit seiner Regenerationswirkung zu spät einsetzt.

Die herausragenden Forschungsarbeiten von Prof. Dr. Wolfang Schaper und seiner Gruppe am Max-Planck-Institut in Bad Nauheim in den 1980iger und 1990iger Jahren haben grundlegende Mechanismen der Arteriogenese aufgeklärt. Neben den geänderten physikalischen Kräften des Blutstromes wie der Schubspannung im verengten Gefäß, sind es die größten Abwehrzellen im Blut (Monozyten), die das Kollateralwachstum positiv beeinflussen. Allerdings war bislang unklar, wie sich Strömungsunterschiede im Blut auf das Wachstum von Gefäßwandzellen außerhalb des Blutes auswirken.

Grundlegende Zusammenhänge konnten im Rahmen der Gießener und Münchner Forschungskooperation zusammen mit weiteren internationalen Kooperationspartnern geklärt werden: Die Forscherinnen und Forscher machten die in der direkten Nachbarschaft zu Blutgefäßen liegenden Mastzellen als „Dirigenten“ für eine erfolgreiche Arteriogenese aus.

Mastzellen wurden zum ersten Mal bereits von Paul Ehrlich 1878 beschrieben. Sie stellen die Nummer-eins-Alarmzellen des körpereigenen Immunsystems dar und sind reich an entzündlichen Inhaltsstoffen, die sofort nach Zellaktivierung freigesetzt werden. Bekannt vor allem für ihre entscheidende Rolle bei allergischen Reaktionen, sind die Mastzellen auch an weiteren Prozessen wie Wundheilung und Blutgefäßstabilisierung beteiligt.

Die Autoren der in „CELL Reports“ erschienenen Veröffentlichung fanden nun heraus, dass eine Kaskade von zellulären Vorgängen für die Kollateralgefäßbildung verantwortlich ist, die bis hin zur massiven Ausbreitung von Wachstumsfaktoren reicht. Ausgehend von im Blutstrom gestressten Blutplättchen, die mit Leukozyten Komplexe bilden, werden Sauerstoffradikale ins Gewebe abgegeben und erreichen dort die Mastzellen, die ihrerseits mit einer massiven Freisetzung von Wachstumsfaktoren (Zytokinen) reagieren, damit Abwehrzellen (Monozyten) anlocken und stimulieren. Insgesamt setzen diese Zellen so viele Mediatoren frei, dass der entscheidende Prozess der Arteriogenese für die folgenden sieben bis zehn Tage in Gang gesetzt wird. Ist die Aktivierung von Mastzellen dagegen blockiert oder fehlen diese Zellen, unterbleibt die Bildung der Umgehungskreisläufe. Das Gewebe ist nicht in der Lage, sich zu regenerieren.

Bei der beschriebenen Abfolge der Reaktionen handelt es sich um die zelluläre Reaktionskette der angeborenen Immunabwehr. Die an der Publikation  beteiligten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sind überzeugt davon, dass die Immunzellen unter dem Dirigat der Mastzellen viel mehr als nur den natürlichen Entzündungsprozess steuern und maßgeblich die Gefäß- und Gewebsregeneration regulieren. Aufgrund ihrer Beobachtungen hoffen die Forscherinnen und Forscher, demnächst auch neue Therapieformen zu entwickeln. Ziel ist es, die Selbstheilungskräfte des Körpers für das Gefäßwachstum in durch Ischämie betroffenen Gewebsarealen zu mobilisieren. Hier könnten Methoden, die die Mastzellen stimulieren, zum Einsatz kommen, um von Gefäßverschlüssen betroffene Gewebe oder Organe durch nicht-chirurgische Verfahren vor dem Absterben zu retten.

  • Publikation

O. Chillo, (…), K.T. Preissner, E. Deindl: Perivascular mast cells govern shear stress-induced arteriogenesis by orchestrating leukocyte function. Cell Reports, August 2016
DOI: 10.1016/j.celrep.2016.07.040


  • Weitere Informationen

https://www.uni-giessen.de/fbz/fb11/institute/biochemie
http://dx.doi.org/10.1016/j.celrep.2016.07.040
http://www.cell.com/cell-reports/pdf/S2211-1247%2816%2930958-5.pdf (Artikel als pdf)


  • Kontakt



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Forschung