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Staubiges Plasma in Einsteins Aufzug

Arbeitsgruppe des I. Physikalischen Instituts der Universität Gießen erforscht das Verhalten von Mikropartikeln in Plasmen – Fallturm erzeugt Bedingungen der Schwerelosigkeit

Nr. 135 • 18. Oktober 2021

Mikropartikel in einem Plasma (blaues Leuchten) laden sich auf und nehmen eine regelmäßige Anordnung ein. Die Partikel (rote Punkte) werden von einem Laser beleuchtet und von einer Videokamera aufgenommen. Foto: Michael Kretschmer
Die Teams vom Einstein-Elevator (l.) und der JLU (r.) mit dem Plasmaexperiment vor der Gondel (v.l.n.r.): Marvin Raupert, Manuel Fernández Radio, Richard Sperling, Christoph Lotz, Christian Schinz, Andreas Schmitz, Johannes Schmidt, Thomas Nimmerfroh. Vorn: Sebastian Lazar, Michael Kretschmer. Die blauen und gelben Stahlträger bilden Führung und Antrieb des 30 Meter hohen Fallturms. Foto: Leibniz Universität Hannover / Christoph Lotz
3, 2, 1, Start! Auf Knopfdruck fällt der Aufzug 20 Meter in die Tiefe und wird dann mehr oder weniger sanft wieder abgebremst. In der Aufzugsgondel befinden sich keine Personen, sondern ein physikalisches Experiment des I. Physikalischen Instituts (IPI) der Justus-Liebig-Universität Gießen (JLU). Natürlich handelt es sich beim Einstein-Elevator des HITec der Leibniz Universität Hannover nicht um einen „normalen“ Aufzug, sondern um eine Einrichtung zur Forschung in Schwerelosigkeit. Der Einstein-Elevator stellt die Realisierung eines Gedankenexperiments von Albert Einstein dar, der erkannte, dass ein Beobachter oder eine Beobachterin in einer geschlossenen Kabine prinzipiell nicht unterscheiden können, ob die Kabine fällt oder sich im Weltraum befindet. Denn in beiden Fällen herrscht im Inneren der Zustand der Schwerelosigkeit.

Die Arbeitsgruppe „Komplexe Plasmen“ von Prof. Dr. Markus Thoma am IPI untersucht das Verhalten von Mikropartikeln, quasi „Staub“, in einem physikalischen Plasma und führt dabei regelmäßig Experimente in Schwerelosigkeit durch – nicht nur im Einstein-Elevator, sondern auch auf der Internationalen Raumstation ISS und auf Parabelflügen. Bei den Experimenten wird ein Edelgas wie Neon oder Argon mittels einer elektrischen Entladung in den Plasmazustand überführt. Plasmen werden auch als vierter Aggregatzustand der Materie – nach fest, flüssig und gasförmig – bezeichnet.

Solche staubigen Plasmen gibt es im Weltraum zum Beispiel bei der Entstehung von Planeten, aber auch in industriellen Prozessen wie der Produktion von Mikrochips oder in Kernfusionsreaktoren. „Um ihr Verhalten besser zu verstehen, ist es von Vorteil, die Experimente in Schwerelosigkeit durchzuführen, da die Gravitationskraft einen starken, störenden Einfluss auf die im Plasma befindlichen Mikroteilchen hat“, so Prof. Thoma. „Wir bedanken uns daher herzlich beim Team des Einstein-Elevators für die wertvolle und tatkräftige Unterstützung.“

Am Einstein-Elevator wurde hierzu eine Plasmakammer der Arbeitsgruppe, wie sie auch im Fortgeschrittenenpraktikum für Studierende der Physik an der JLU eingesetzt wird, in der Gondel installiert. Die Gondel wird in 27 Meter Höhe gezogen und dort ausgeklinkt. Beim freien Fall entsteht Schwerelosigkeit von zwei Sekunden Dauer, danach wird die Gondel mit fünffacher Erdbeschleunigung (5 g) abgebremst. Alternativ kann der Aufzug auch von unten mit einem elektrischen Antrieb katapultartig gestartet werden, wobei sich die Dauer des freien Falls und damit die Dauer der Schwerelosigkeit auf vier Sekunden verdoppelt. In beiden Fällen werden die Mikroteilchen im Plasma mit einer Videokamera verfolgt. Das erlaubt die genaue Vermessung der Dynamik der Teilchen, die sich unter Schwerkraft (1 g) in der Randschicht des Plasmas aufhalten und in Schwerelosigkeit (0 g) in die Mitte des Plasmas driften.

Aus der Bewegung können damit die wenig bekannten Verhältnisse in der Randschicht genau vermessen werden, was Thema einer Dissertation am IPI ist. Durch das Vorhandensein von elektrisch geladenen Ionen und freien Elektronen zeichnen sich Plasmen durch elektrische Leitfähigkeit und ein charakteristisches Leuchten aus. Mikropartikel laden sich durch die Elektronen in einem Plasma negativ auf und interagieren untereinander und mit ihrer Umgebung.

Während der Experimente am Einstein-Elevator wurden über 50 Abwürfe durchgeführt, die nun ausgewertet werden. Die Ergebnisse werden auch in die Vorbereitung einer weiteren Messkampagne 2022 einfließen. Die Kampagne wird gefördert vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt DLR.

  • Weitere Informationen

www.einstein-elevator.de

  • Kontakt


I. Physikalisches Institut
Telefon: 0641 99-33110

Presse, Kommunikation und Marketing • Justus-Liebig-Universität Gießen • Telefon: 0641 99-12041

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Forschung