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Gießener Forschungsteam entschlüsselt heimische Ameisengifte

Neue Studie von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Justus-Liebig-Universität Gießen und des Fraunhofer Instituts für Molekularbiologie und Angewandte Ökologie

Nr. 92 • 21. Juni 2022

Bislang wurden vor allem Gifte tropischer Arten – wie dieser Grünkopfameise (Rhytidoponera metallica) – untersucht. Bild: Louis Roth

Für die meisten Menschen sind Ameisen nur ungebetene Gäste beim Picknick – doch für ein Team der Justus-Liebig-Universität Gießen (JLU) und des Fraunhofer Instituts für Molekularbiologie und Angewandte Ökologie sind die Insekten begehrte Forschungsobjekte. Den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern gelang es jetzt erstmalig, den Giftcocktail zweier heimischer Knotenameisenarten zu entschlüsseln. Über ihre Ergebnisse berichten sie in der Fachzeitschrift „Toxins“. Bislang hatte sich die Tiergiftforschung vor allem auf exotische Ameisenarten aus den Tropen konzentriert.

Ameisen kommen weltweit mit etwa 14.000 Arten vor und sind insbesondere dafür bekannt, Staaten zu bilden. Eine wesentliche Fähigkeit, die ihnen diese Lebensweise ermöglicht, war die Evolution von chemischen Verteidigungswaffen, um ihre Kolonie gegen Räuber zu verteidigen. Während einige Arten Säure versprühen können, entwickelten die meisten Ameisen stattdessen einen Giftstachel, mit dem sie stark wirksame Toxine injizieren können. Einige der großen tropischen Ameisen, wie die südamerikanische 24-Stunden-Ameise Paraponera clavata oder die australische Bulldoggen-Ameise Myrmecia gullosa, sind bekannt für ihre extrem schmerzhaften Stiche, die ihren Opfern über Tage hinweg zusetzen können. Kein Wunder, dass sich die Tiergiftforschung in der Vergangenheit primär auf solche Arten konzentriert hat. Dagegen sind die Gifte der etwa 100 in Deutschland lebenden Ameisenarten nahezu unerforscht.

Das Gießener Team konnte den Giftcocktail zweier heimischer Knotenameisenarten (Myrmica rubra und Myrmica ruginodis) mittels systembiologischer Methoden entschlüsseln und dabei potenziell wertvolle Biomoleküle identifizieren. „Die Gifte der Knotenameisen enthalten so genannte EGF-Toxine, welche zuvor in hochgiftigen Bulldoggen-Ameisen identifiziert worden sind. In diesen sind sie für die starken Schmerzen nach einem Stich verantwortlich. Die EGF-Toxine der Knotenameisen unterscheiden sich jedoch strukturell von denen der Bulldoggen-Ameisen und wir vermuten, dass sie in erster Linie auf andere Insekten abzielen. Dies macht sie zu möglichen Ausgangsstoffen für die Entwicklung von Bioinsektiziden“, kommentiert Dr. Tim Lüddecke, Nachwuchsgruppenleiter der Arbeitsgruppe „Animal Venomics“ am Gießener Fraunhofer Institut und Forschungsleiter des Projekts.

„Neben diesen EGF-Toxinen ist das Gift der Knotenameisen reich an Enzymen, wie Proteasen oder Phospholipasen und es ist denkbar, dass einige davon für die industrielle Güterproduktion interessant sein könnten“, ergänzt Lüddecke. Ebenfalls an der Studie beteiligt ist der JLU-Insektenbiotechnologe Prof. Dr. Andreas Vilcinskas. „Insekten sind die erfolgreichste Gruppe des Tierreichs und in vielen Arten, auch hierzulande, spielen Gifte eine entscheidende Rolle für ihren evolutionären Erfolg. Wir haben gerade erst angefangen die Gifte von Ameisen und anderen Insekten zu erforschen, aber es zeigt sich bereits jetzt, dass wir hier auf eine biochemische Schatztruhe gestoßen sind. Wir werden zukünftig weitere Arten untersuchen und so der Gemeinschaft wertvolle Bioressourcen zur Verfügung stellen“, sagte Vilcinskas.

Möglich wurde die Arbeit durch neue systembiologische Untersuchungsmethoden, die in der „Venomics“-Gruppe eingesetzt werden. „In der Vergangenheit war es schwierig, die Gifte der sehr kleinen heimischen Arten zu untersuchen“, sagt Sabine Hurka, Doktorandin am Institut für Insektenbiotechnologie der JLU und Erstautorin der Studie. „Von diesen Tieren erhält man nur geringste Giftmengen, und traditionelle chemische Verfahren können damit nicht durchgeführt werden. Erst neue Methoden und vor allem bioinformatische Ansätze ermöglichen es uns, die heimischen Ameisen hinsichtlich ihres Giftes zu untersuchen.“

Gefördert wurde die Arbeit durch das LOEWE-Zentrum für Translationale Biodiversitätsgenomik (LOEWE-TBG) mit Sitz in Frankfurt am Main.

  • Veröffentlichung

Hurka, S., K. Brinkrolf, R. Özbek, F. Förster, A. Billion, J. Heep, T. Timm, G. Lochnit, A. Vilcinskas, T. Lüddecke (2022): Venomics of the Central European Myrmicine Ants Myrmica rubra and Myrmica ruginodis. Toxins 14(5): 358.
https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/35622604/
DOI: 10.3390/toxins14050358

  • Kontakt


Fraunhofer Institut für Molekularbiologie und Angewandte Ökologie IME
Ohlebergsweg 12, 35392 Gießen
Tel: +49 641 972-19301


Institut für Insektenbiotechnologie der JLU

 

 

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Schlagwörter
Forschung