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Terrakottafiguren aus Böotien

Böotisches Brettidol

Frauenfiguren mit hohem Polos

Weibliche Gewandfigur mit Kind

Große Festfrisuren

Schauspieler mit Kithara

Sirene

Stehende, halb entblößte weibliche Gestalt: Aphrodite

Fliegender Eros im Mantel

Knabe mit Pfeiler und Äffchen

Sitzender Knabe (Ephebe?) mit Sonnenhut

Stehender Jüngling im Mantel, "Reisender"

 

Verfasserin: Waltrud Wamser-Krasznai

Böotien, die im Nord-Westen an Attika abgrenzende Landschaft, ist die Heimat berühmter Persönlichkeiten der Antike, wie Hesiod (Chalkis/Euböa), Pindar (Kynoskephalai bei Theben), Plutarch (Cheironeira) oder die Dichterin Korinna (Tanagra). Im Allgemeinen jedoch galten die Böoter als provinziell, rückständig und bar jeden schöpferischen Impulses[1]. Man sagte ihnen mangelnde Weltoffenheit nach und vergaß dabei, dass die ersten Koloniegründungen im Westen, Kyme/Cumae in Kampanien sowie Naxos und Zankle/Messina auf Sizilien, von Böotien bzw. von Euböa ausgegangen waren. Alle künstlerischen Neuerungen seien Leistungen der Ateliers von Korinth, Ionien oder Attika. Die Böoter hätten sie lediglich nachgeahmt, während ihr eigener Beitrag in der ‚Kunst‘ des Tradierens und Retardierens bestanden habe[2].
Gelegentlich gab es auch andere Stimmen. Gisela M. A. Richter hob die umfangreiche böotische Produktion an Terrakotten und keramischen Gefäßen vor allem im 7. Jh. v. Chr. hervor. So seien die vogelköpfigen Statuetten und „pappades“ bezeichnend für die Koroplastik Böotiens, auch wenn man sie häufig außerhalb des Landes gefunden habe[3]. R. Lullies sah sogar in dem oft auf die böotische Kunst angewandten Begriff „provinzieller Stil“ … etwas Positives „insofern, als der provinzielle Künstler seinen Werken eine neue Konstante hinzufügt … mag er noch so eng von seinem Vorbild abhängen“[4]. E. Paul hob die Vorrangstellung Böotiens im Hinblick auf die Brettidole hervor[5]. Sie gingen zwar von korinthischen Vorbildern aus, seien dann aber zu etwas ganz Neuem umgestaltet worden. Namentlich die Vogelkopfdole[6] haben im Korinthischen keine Entsprechung. In seiner Studie zur böotischen Koroplastik des 7. und 6. Jhs. v. Chr. weist M. Szabó nach[7], dass es sich auch bei den anthropomorphen Statuetten nicht um eine bloße Übernahme handelt. Nachdem die regionalen Werkstätten aus dem Angebot berühmter auswärtiger Manufakturen ihre Auswahl getroffen hätten, seien die Vorbilder dann so gründlich bearbeitet und umgestaltet worden, dass charakteristische Bildwerke von ganz eigenem Reiz entstanden[8]. W. Schild-Xenidou zeigt für die archaische und klassische Reliefplastik Böotiens, „dass dieses Land neben der Prägung durch ionische und attische Einflüsse tatsächlich auch eine geistig-künstlerische Eigenständigkeit entwickelt und bewahrt hat“[9]. Als Beispiele dafür nennt er wieder die archaischen Vogelkopfidole oder, in klassischer Zeit, Statuetten mit einem Polos, der zusätzlich mit einer hoch aufragenden gezackten Schmuckplatte, einem spezifisch böotischen Merkmal, versehen ist[10]. Später entstehen die unverwechselbar böotischen Frauen- und Jünglingsfiguren mit „reichen Frisuren“[11].

Brettidole
Brettartig flache Terrakotten, die selten eine Höhe von 20 cm überschreiten, entstanden vor allem im 6. Jh. v. Chr. Wie bodenlange Gewänder und applizierte oder in Malerei angegebene Brüste[12] zeigen, handelt es sich um die Darstellung von Frauen. Ein hoher Polos, der an die Kopfbedeckung von "Pappas", also von orthodoxen Priestern, erinnert, brachte den ikonographisch in gleicher Weise bekrönten Statuetten ihren Namen ein[13]: Außer den Idolen mit vogelschnabelartig stilisiertem Kopf[14] ("Vogelkopfidole") entstanden Exemplare mit menschlichen Gesichtern, die im Gegensatz zu den meist handgefertigten Körpern aus Matrizen gewonnen wurden. Im Vergleich mit den Gesichtern von Gefäßfiguren aus dem Anfang des 6. Jhs. v. Chr. zeigte F. R. Grace die nahe Verbindung der zeitgleichen böotischen Idole zur korinthischen Keramik und Koroplastik auf[15]. Vor dem zweiten Brand erhielten die Statuetten ein sorgfältiges Dekor aus geometrischen Motiven in leuchtenden Farben. Die Gewänder erweitern sich nach unten zu einem ovalen Standring, sodass die Figuren ohne Stütze stehen können. Langes Schulterhaar ist oft plastisch angegeben[16].  
Andere Idole mit menschlichen Köpfen benötigen wegen ihrer geringen Tiefe meist eine Stütze, um aufrecht stehen zu können[17]. Die Bemalung in zarten Pastelltönen, nach dem Brand auf weißem Grund aufgetragen, ist häufig schlecht erhalten[18].  
Zwischen diesen beiden durch ihre anthropomorphen Gesichter ausgezeichneten Idol-Gruppen steht eine weniger homogene Zwischengruppe[19], in der auch die Statuette Gießen T I-2 ihren Platz findet.
 



[1] DNP 2, 734-738; 4, 207; 6, 738.

[2] W. Martini, Sachwörterbuch der Klassischen Archäologie (Stuttgart 2003) 40; ders., Die Archaische Plastik der Griechen (Darmstadt 1990) 208.

[3] G. M. A. Richter, Handbuch der griechischen Kunst (Köln – Berlin – Nimwegen 1966) 258 f.; M. Szabó, Archaic Terracottas of Boeotia (Rom 1993) 21 Anm. 1.

[4] R. Lullies, Zur frühen boiotischen Plastik, JdI 51, 1936, 137.

[5] Idol = Bild, Abbild. E. Paul, Die böotischen Brettidole. Diss. Leipzig 1958, 4. 79-83.

[6] Paul a. O. 79.

[7] „Adoption of Corinthian elements, employed in an independent manner“, M. Szabó, Archaic Terracottas of Boeotia (Rom 1993) vor allem S. 50.

[8] Szabó a. O. 134.

[9] W. Schild-Xenidou, boiotische Grab- und Weihreliefs archaischer und klassischer Zeit, Diss. München 1972, 1.

[10] z. B. K. Demakopoulou – D. Konsola, Archäologisches Museum Theben (Athen 1981) 65 Abb. 21; mit ausführlicher Literaturangabe W. Schürmann, Katalog der antiken Terrakotten im Badischen Landesmuseum Karlsruhe (Göteborg 1989) 38 f. Nr. 81 Taf. 17. Das Motiv der Schmuckplatte führt zu der Frage, ob es sich dabei vielleicht um eine Metapher für das Kanoun (den Opferkorb) handelt, s. z. B. Schürmann 1989, 40 f. Nr. 86 Taf. 18; U. Liepmann, Griechische Terrakotten, Bronzen, Skulpturen (Hannover 1975) 18. 61 T 45; F. W. Hamdorf, Hauch des Prometheus (München 1996) 50, Abb. 50; J. G. Szilágyi – L. Castiglione, Görög-Római Kiállítás vezető (Budapest 1955) 25 Taf. 13, 2.

[11] „Reiche“ Frisur: ebenso reich an Volumen wie an Details, L. Frey-Asche, Tonfiguren aus dem Altertum (Hamburg 1997) 50 f. Nr. 30; M. Maischberger, Was sind Männer? In: Die griechische Klassik. Idee oder Wirklichkeit (Berlin 2002) 282-284 Nr. 173-176.

[12] G. Zahlhaas, Idole. Frühe Götterbilder und Opfergaben (Mainz 1985) 89 Abb. 36 und Farbtaf. 24; F. R. Grace, Archaic Sculpture in Boeotia (Rom 1969) 85 Abb. 29. 30.

[13] „Pappades“, Grace 1969, 27 Abb. 37. 38; M. Szabó, Archaic Terracottas of Boeotia (Rom 1994) 10.

[14] Zahlhaas 1985, 87 f. Abb. 34.

[15] z. B. Pyxis Berlin, Grace 1969, 31 Abb. 20. 21.

[16] Grace 1969, 85 f. Abb. 29. 31. 33. 38

[17] Paul 1958, 59.

[18] Grace 1969, 46 Abb. 58. 59; L. I. Marangou, Archaia ellenike techne (Athen 1985) 129 Abb. 187-190; Schürmann 1989, 28 f. Nr. 39 Taf. 10; P. N. Ure, Aryballoi & Figurines from Rhitsona in Boeotia (Cambridge 1934) 59 Nr. 112 Taf. 14.

[19] Die Gruppe der von Szabó sog. „Standing pappades of a transitional nature“ sei durch „mouse-like face“, plastisch aufgelegte Haarsträhnen und kurze spitze Armstümpfe charakterisiert. Das geometrische Dekor beschränke sich häufig auf die Brustpartie, Szabó 1994, 64 f. Abb. 63-66.