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Gießener Allgemeine vom 29.6.2005

Hellblau und rosa lassen Säuglinge ziemlich kalt

In der "Justus' Kinder-Uni" erklärte die Entwicklungspsychologin Gudrun Schwarzer, "wie Babys die Welt sehen"

Gießen (si). Wenn Babys sprechen könnten! Dann wüssten die Wissenschaftler, was ein Neugeborenes denkt und fühlt. Weil Babys aber nicht sprechen können, müssen sich die Forscher ziemlich komplizierte Versuche ausdenken, wenn sie etwas über sie erfahren wollen. Zum Beispiel dieses Experiment: Ein etwa sechs Monate altes Kind sitzt bei seiner Mutter auf dem Schoß. Vor ihm hängen zwei Rechtecke. Beide sind rot. Das Baby schaut hin und her. Dann langweilt es sich. Nimmt man ein rotes Teil ab und hängt dafür ein gelbes hin, schaut das Kleine sofort hochkonzentriert hin. Der Wissenschaftler, der (heimlich!) alles beobachtet hat, weiß nun und kann es auch belegen (seine Stoppuhr lief mit): Das Kind hat die neue Farbe wahrgenommen. Es kann Farben unterscheiden!

Das klingt selbstverständlich? Ist es aber nicht! Die Forschung beschäftigt sich nämlich erst seit recht kurzer Zeit mit der Frage, "wie Babys die Welt sehen". Und Farben sind ja nur ein Problem. Kann es Männer von Frauen unterscheiden? Warum guckt es bei Gesichtern so genau hin? Mag es lieber runde oder eckige Formen? Und was verändert sich eigentlich, wenn das Baby älter wird?

Antworten auf diese Fragen gab gestern Nachmittag Gudrun Schwarzer, Professorin für Entwicklungspsychologie, beim dritten Vortrag der "Justus' Kinder-Uni" in der Uni-Aula - die mit 500 Besuchern wieder voll besetzt war, obwohl draußen das beste Schwimmbadwetter lockte. Nicht nur die Acht- bis Zwölfjährigen, an die sich die Vorlesung eigentlich richtet, hörten gebannt zu. Auch viele Väter und Mütter wunderten sich: "Ach, das hab ich gar nicht gewusst!" So erfuhr das Publikum in den 45 Minuten beispielsweise, dass Neugeborene nicht einmal fünf Prozent der Sehzellen eines größeren Kindes haben - und deshalb kaum sehen können. Voll entwickelt ist das Auge erst im Alter von zwei Jahren. Grundfarben können sie früh unterscheiden. Die mögen sie auch viel lieber als die typischen Babyfarben hellblau und zartrosa (also: Aufpassen beim Kauf eines Strampelanzugs!). Babys haben es außerdem lieber rund als eckig. Und besonders früh interessieren sie sich für Gesichter. Frauen haben es ihnen angetan - doch das stimmt nicht ganz. Wenn das Baby nur mit Männern zu tun hat, nimmt es Männergesichter eher wahr - das gilt übrigens für Mädchen und Jungen gleichermaßen. Gesichter von Tieren unterscheiden die ganz Kleinen sogar besser als Erwachsene. Die Größeren verlernen das. Dafür nehmen die dann Menschengesichter viel besser wahr - für das tägliche Leben ist das bestimmt kein Nachteil.

Großer Applaus für die 42-jährige Professorin, die seit knapp zwei Jahren an der Justus-Liebig-Universität lehrt. Und eine Bitte an die Technik: Die Verstärkeranlage sollte beim nächsten Mal so eingestellt sein, dass der Vortrag auch auf den hinteren Plätzen und auf der Empore gut zu hören ist. Den letzten Vortrag in der Reihe gibt es am Dienstag, den 12. Juli (wieder um 16.15 Uhr in der Uni-Aula). Dann wird die Biologie-Professorin Tina Trenczek unter anderem der Frage nachgehen, warum so viele Kinder - aber auch Erwachsene - Angst vor Insekten und Spinnen haben oder sich ekeln.