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Gießener Anzeiger vom 01.04.2005

Kinderuniversitäten machen Schule

Angebote erfreuen sich zunehmender Beliebtheit - An der JLU ist Ausweitung der Kinder- und Jugendvorlesungen geplant

TÜBINGEN/GIESSEN (lsw/fod). Als Sabine Fath eines Morgens ihren Sohn weckt, reagiert dieser mit der Bemerkung: "Jetzt bin ich gerade in der REM-Phase (Rapid Eye Movement) gewesen." Dem elfjährigen Björn ist diese wissenschaftliche Bezeichnung für die von schnellen Augen-Bewegungen gekennzeichnete Traumphase geläufig. Denn er ist eifriger Besucher der Tübinger Kinderuniversität und hat gut aufgepasst bei der Vorlesung mit dem Titel "Warum träumen wir?". Die Tübinger Universität war eine der allerersten Hochschulen in Deutschland, die Kinder mit Vorlesungen die Möglichkeit eröffnete, ihren Wissensdurst zu stillen. In der Fachwerkstadt am Neckar geht die Kinderuniversität in diesem Sommersemester mit acht Vorlesungen in die vierte Runde. Das Beispiel hat mittlerweile in ganz Deutschland Schule gemacht. In rund 70 Städten gibt es ähnliche Offerten. Auch an der Gießener Justus-Liebig-Universität (JLU) bieten einzelne Fachbereiche seit vielen Jahren immer wieder Kinder- und Jugendvorträge an. Darüber hinaus erfreuen sich die Weihnachtsvorlesungen der Chemiker und insbesondere die Veranstaltungen im "Mathematikum", dem Mathe-Museum zum Mitmachen, großer Beliebtheit. Laut Christel Lauterbach, Leiterin der JLU-Pressestelle und eine der Initiatoren, plant man für das nun beginnende Sommersemester einen Ausbau der Gießener Kinderuniversität und eine regelmäßig stattfindende Vorlesungsreihe.

Auch Baden-Württembergs Wissenschaftsminister Peter Frankenberg (CDU) schätzt die Hochschul-Initiativen: "Die sind gut, auch für Professoren, weil Kinder Fragen stellen, die sonst keiner stellt." Er sieht auch den potenziellen Studierenden-Nachwuchs: "Kinderunis machen die Kinder neugierig auf Wissenschaft und führen zu Akzeptanz von Naturwissenschaften." In Österreich wurden die Kinderuniversitäten zeitgleich entwickelt, Nachahmer des Tübinger Projekts gibt es auch in der Schweiz.

Den Anstoß für das Tübinger Projekt gaben zwei Redakteure des "Schwäbischen Tagblattes". Sie kamen zu Michael Seifert, dem Pressesprecher der Universität, mit der Idee, "Kinder und Professoren zusammen zu bringen". Daraus entstand sehr schnell das Konzept der Kinderuniversität. Schon bei der ersten Vorlesung zum Thema "Warum Vulkane Feuer spucken?" im Juni 2002 bekam es der Professor mit der Angst zu tun, erzählt Seifert. Nicht wie erwartet 250 Kinder im Alter von acht bis zwölf Jahren stürmten den Hörsaal sondern 400. Auch die Wahl eines größeren Saales brachte keine Erleichterung. Denn der zweite Vortrag über die schwierige Frage: "Warum gibt es Arme und Reiche?" lockte 700 Kinder an.

Mittlerweile haben die Veranstaltungen Kultstatus. Die Kleinen stellen sich schon vorher brav an, um von ihren "Stars" Autogramme zu erhalten. Stolz zeigen sie ihren Studentenausweis und ihr Studienheft mit Fotos ihrer Dozenten und Stempeln für jeden Vorlesungsbesuch.

Mütter wie Sabine Fath sind froh, dass ihre Zöglinge ihre bohrenden Fragen auch einmal an echte Profis richten können. So sah sie nicht ungern, dass sich ihr Sohn in der Kinderuniversität darüber informieren konnte, warum Menschen sterben. "Bei einem so heiklen Thema traut man sich nicht, es ohne Grund anzusprechen."

Mittlerweile gilt es als Ehre, zu den auserwählten Professoren für die Kinderuniversität zu gehören. Für die Wissenschaftler, die ihre Dienste kostenlos zur Verfügung stellen, sind die Vorlesungen eine Herausforderung. "Die fahren alles an Fantasie auf", meint Seifert begeistert. Denn das Lernen soll hier vor allem Spaß machen.

Der Biologe Hans-Ulrich Schnitzler weiß ein Lied von den Schwierigkeiten einer Kindervorlesung zu singen: "Das war ein drei Mal so großer Aufwand wie für eine normale Vorlesung", erinnert er sich. Für sein Thema "Warum sehen Fledermäuse mit den Ohren?" brachte er nicht nur bunte Folien, sondern auch lebende Tiere mit. Kinder darf man nicht langweilen, für sie muss man besonders anschaulich sein, weiß er. "Das ist eine Riesenshow, ein Zirkus - und ich bin der Dompteur." Seifert erzählt: "Hinterher sind die Professoren oft high, denn es ist für sie eine einmalige Bestätigung, wenn mehrere hundert Kinder begeistert auf den Tisch trommeln."

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