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Gießener Anzeiger vom 30.6.2005

Attraktiver als Schwimmbad oder Basketballtraining

Prof. Gudrun Schwarzer erklärte bei Justus' Kinderuni "Wie Babys die Welt sehen"

GIESSEN (fm). Rund 500 junge Hörerinnen und Hörern in der wiederum voll besetzten Uniaula beweisen es: In punkto Motivation würde Justus' Kinderuni im Sommersemester jeder Eliteuniversität zur Ehre gereichen. Trotz hochsommerlichen Badewetters war nämlich auch die dritte Vorlesung für Acht- bis Zwölfjährige exzellent besucht. Um aus dem Munde von Prof. Gudrun Schwarzer vom Fachbereich Entwicklungspsychologie live und hautnah zu erfahren "Wie Babys die Welt sehen", hatte zum Beispiel der neunjährige Vinzent eigens sein Basketballtraining ausfallen lassen. Und viele andere Nachwuchs-Studierende waren trotz brütender Hitze nicht ins Schwimmbad gegangen, weil sie unbedingt den dritten Stempel für ihren Studienausweis ergattern wollten. Wen immer der Anzeiger befragte: Schon jetzt freuen sich alle Jungs und Mädchen auf das Zertifikat, das sie nach der vierten Kindervorlesung erhalten werden. Vorausgesetzt, ihr Ausweis ist lückenlos abgestempelt ("testiert").

Nach den Wundern aus der Welt der Zahlen und nach spannenden chemischen Experimenten stand diesmal das Sehen im Mittelpunkt der Kindervorlesung. Und zwar im wörtlichen Sinne. Denn trotz ungünstiger äußerer Bedingungen -- in der überfüllten Aula herrschte eine beklagenswert schlechte Akustik -- verstand es Prof. Gudrun Schwarzer, ihren "lieben Studentinnen und Studenten" die Augen für Ergebnisse der an der Justus-Liebig-Universität (JLU) durchgeführten Baby- und Kinderstudien zu öffnen. Mit einer kurzen Filmsequenz aus den ersten Tagen eines Neugeborenen samt seiner damit verbundenen Wahrnehmungs-Abenteuer und mit der Bitte, über möglichst frühe eigene Erinnerungen und über Beobachtungen von jüngeren Geschwistern zu erzählen, hatte die Expertin die erwartungsvolle Kinderschar im Nu an ihrer Seite.

Mit wachsender Begeisterung legten alle Anwesenden den Kopf in den Nacken, um eine Idee vom Blickwinkel eines Babys zu bekommen. Vollends in Schwung kamen die Kinder und Jugendlichen, als sie sich gegenseitig durch ein- oder zweimal gefaltete Folien betrachteten. "So sieht ein Baby im Alter von einem Monat die Umwelt", erläuterte Schwarzer den Doppelknick. Der Blick durch nur eine Folienschicht sollte dagegen die Periode des zweiten und dritten Lebensmonats simulieren. Viel Gelächter rief die erste frühkindliche Zeichnung eines Menschen, pardon, eines "Kopffüßlers", hervor, der außer einem großen Kopf mit Augen, Nase, Mund und Haaren nur noch zwei staksige Beine und einen "Bauchnabel unter dem Kinn" aufwies. Mit einfühlsamen Kommentaren machte Schwarzer deutlich, wie wichtig es ist zu erforschen, wie Babys die Welt sehen. "Dann können wir sie besser verstehen." So mancher Merksatz und manche Grafik wurde von wissbegierigen Kindern fein säuberlich in mitgebrachte Notizhefte übertragen. Wie zum Beispiel die Kästchen mit einer stark unterschiedlichen Zahl von Sehzellen bei Kindern und Babys. "In der Schule mach ich nicht so viel mit, weil es dort nicht so interessant ist", sagte die neunjährige Ann-Lauren aus Hungen, die hoch konzentriert das Wichtigste von den Folien in ihr Heft übertrug.

Nach viel beklatschten Live-Experimenten mit "Memory"-Charakter fasste Schwarzer zusammen: Babys sehen zunächst unscharf; sie sehen gerne Grundfarben wir rot, blau, grün und gelb; sie sehen am liebsten runde Formen; ihre Lieblingsobjekte sind Gesichter. Zwar müssen sie erst noch lernen, die feinen Unterschiede zwischen einzelnen Menschengesichtern zu erkennen. "Aber dafür können Babys besser als ältere Kinder und Erwachsene die Gesichter von Schafen, Affen und anderen Tieren unterscheiden."