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Gießener Allgemeine vom 16.12.2005

Wenn ein Flugzeug durch den Hörsaal dröhnt

"Justus Kinderuni": Rund 250 Nachwuchs-Studenten folgten dem Audiologen Prof. Kießling auf eine Reise durchs Ohr

Gießen (mfp). Auf einmal sind alle ganz still und horchen: Aus welcher Richtung mag das Flugzeug kommen? Was macht es, ist es im Landeanflug, fliegt es vorbei oder hebt es gerade ab? Oder ist es gar kein Flugzeug, sondern ein Schnellzug? Nach dem zweiten Vorspielen des Geräusches melden sich alle Besucher von "Justus Kinderuni" oder rufen in den Saal: Ein Flugzeug ist es, und es startet von links nach rechts. Prof. Jürgen Kießling lächelt und löst das Rätsel auf: die etwa 250 Zuhörer haben Recht. "Hört, hört! Eine Reise durchs Ohr" hieß die zweite Spezialvorlesung für Acht- bis Zwölfjährige in diesem Semester. Dabei wurden auch wieder eifrig Teilnehmerscheine gesammelt, die am Ende eine Urkunde ergeben.

Das Experiment macht deutlich, wie wichtig das Hören für den Menschen ist. Sich unterhalten, telefonieren, durch Zuhören lernen: All das ist tauben Menschen nicht so einfach möglich. Die Kinder in der Vorlesung erkennen leicht, welche Tiere für die Geräusche in Frage kommen, die der Leiter des Funktionsbereichs Audiologie an der Hals-Nasen-Ohren-Klinik des Universitätsklinikums ihnen vorspielt -- auch wenn sie sie nicht sehen können. Schwieriger wird es bei Lärm, hier ist sich das Plenum uneins: War es Donner? Oder ein Güterzug? Mit dem Flugzeug und einem Weckergeräusch veranschaulicht Kießling, dass mit dem Gehör auch die Lage und die Bewegung des Gegenstandes festgestellt werden können, von dem die Geräusche kommen. Für die Orientierung ist das Richtungshören von besonderer Bedeutung. Und das ist nur deshalb möglich, weil wir zwei dieser Sinnesorgane haben, stellen die Jungen und Mädchen fest, wenn sie mal links, mal rechts das Ohr zuhalten.

Kießling zeigt dies am Beispiel Philips, eines kleinen Jungen, der fast von der Feuerwehr überfahren wird, in der Schule nicht viel mitkriegt und beim Fußballspielen die Zurufe seiner Teamkollegen nicht versteht. "Philip hat ein Hörproblem", erklärt der Audiologe und erläutert, welche Tests die Ärztin mit dem Jungen unternimmt. Wie Philip können die Kinder prüfen, in welchen Bereichen sie Klänge gut wahrnehmen -- die hohen Töne tun schon fast weh in den Ohren. Sofort stellen sie Fragen: Woran liegt es, dass man gut hört oder nicht? Der Professor ? der selbst ein Hörgerät trägt ? erklärt die Anatomie des Ohres, wie die Schallwellen über Nerven ins Gehirn gelangen und warum Krankheiten entstehen können. Mit einer Animation geht er auf eine Reise durch das Ohr, vorbei an Trommelfell und Gehörknöchelchen, durch die Gehörschnecke zu den Hörnerven. Ein Film zeigt ein "tanzendes Haar", das aus einem Ohr entnommen wurde. Es bewegt sich rhythmisch zu "Rock around the clock", im Ohr hätte es die Schwingungen der Musik in das Gehirn weitergeleitet. "Im Ohr ist auch das Gleichgewichtssystem" ruft ein Mädchen, Kießling lacht: "Wenn ich krank geworden wäre, hättest du den Vortrag halten können!"

Der Experte gab natürlich auch Tipps, wie man Schäden am Gehör vermeidet: Das "gelbe Zeug in den Ohren", das Ohrenschmalz, solle man nicht mit Wattestäbchen zu entfernen versuchen. rät der Professor. Sehr laute Musik sollte man meiden und mit Spielzeugpistolen aufpassen. Wer Probleme hat, dem kann ein Hörgerät helfen: Das war auch bei Philip so. Viel Lob erhielt Kießling schließlich, zum Beispiel von Ilona und Stephanie: Die beiden Elfjährigen, die schon zum zweiten Mal dabei sind, fanden es "sehr interessant und nicht so langweilig wie bei anderen Vorträgen".