Inhaltspezifische Aktionen

Kapitalismus und unsichere Positionen von Minderheiten. Rassismus, Antisemitismus und Antiziganismus durch die Brille materialistischer Kritik betrachtet

Workshop am 4. und 5. November an der Justus-Liebig-Universität Gießen im Rahmen des SFB "Dynamiken der Sicherheit", des Politische Theorie Kolloquiums und der GGS Sektion "Menschenrechte und Demokratie".

Minderheiten stehen in der Theoriebildung zu sozialer Marginalisierung und Exklusion in doppelter Hinsicht auf unsicheren Positionen: Zum einen ist die tatsächliche Unsicherheit ihrer Positionen in der Gesellschaft Ausgangspunkt und zu erklärendes Phänomen für die Forschung. Zum anderen sind Minderheiten aber auch innerhalb der sozialwissenschaftlichen Theoriebildung unsicher situiert. Der Workshop nimmt theoretische Ansätze in den Fokus, die Rassismus, Antisemitismus und Antiziganismus vor dem Hintergrund kapitalistischer Dynamiken analysieren. Eine Stärke solcher Ansätze ist ihr Anspruch, die unsicheren Positionen von Minderheiten im Kontext materieller, gesellschaftlicher Strukturen zu erklären, statt sie allein auf Vorurteile zurückzuführen. So kann sichtbar gemacht werden, wie die ideologische Verortung von Minderheiten an jeweils spezifischen Positionen innerhalb der kapitalistischen Gesellschaft, etwa als „ausbeutbarer Schwarzer”, „rückständige Muslima“, „geldgieriger Jude“ oder „bettelnde Zigeunerin“, legitimiert, dass Menschen den Zwängen der Kapitalverwertung zu ungleichen Bedingungen ausgesetzt sind. Allerdings fällt an aktuellen Entwicklungen in der kapitalismuskritischen Theoriebildung zu Antisemitismus, Rassismus und Antiziganismus auf, dass die Analysen der verschiedenen Ideologien weitgehend isoliert verlaufen, sie für die jeweils anderen Ideologien blind werden oder diese sogar reproduzieren. Denn allzu leicht wird übersehen, dass sich Angehörige aller Minderheiten in prekären und unsicheren gesellschaftlichen Positionen befinden können.

Der Workshop soll eine konstruktive Gegendynamik erzeugen, indem er ein Forum für Diskussionen darüber schafft, inwiefern verschiedene kapitalismuskritische Theorien der Marginalisierung und Exklusion von Minderheiten sich gegenseitig bereichern können. Um dem Antisemitismus, dem Rassismus und dem Antiziganismus als je eigener Herrschafts- und Ideologieform gerecht zu werden, bedarf es zwar ihrer separaten Untersuchung. Zugleich ist jedoch auch die Zusammenschau notwendig, um ihre Unterschiede herauszuarbeiten und in Beziehung zum Kapitalismus zu setzen. Das Vorhaben ist also komplex. Umso mehr wären die drei Forschungsfelder angehalten, die methodischen Prämissen und Erkenntnisse der je anderen nachzuvollziehen.
Das epistemologische Potential einer solchen gegenseitigen Bereicherung wird bislang jedoch kaum genutzt. In den meisten Beiträgen zu Racial Capitalism, die das Augenmerk auf konkrete soziale Hierarchien und deren Auswirkungen auf die materiellen Lebensbedingungen Rassifizierter legen, taucht das Thema Antisemitismus nicht auf. Teilweise bedienen sich simplifizierte Erklärungen des Racial Capitalism sogar antisemitischer Stereotype. Daneben gibt es Antisemitismus-Forscher*innen, die etwa im Anschluss an die ältere Kritische Theorie versuchen, ihren Gegenstand aus der kapitalistischen Vergesellschaftung heraus zu verstehen und ihn auf eine fehlgeleitete, personifizierte Kapitalismuskritik zurückführen. Rassistisch strukturierte soziale Ungleichheit bleibt hierbei häufig unterbelichtet. Im Schatten dieser Diskussionen steht als relativ junges Sachgebiet die materialistische Antiziganismusforschung. Hier sind im deutschsprachigen Raum sowohl Perspektiven der subjekttheoretischen Analyse des Antisemitismus als auch der Kapitalismuskritik nach Marx eingeflossen. Solche Theorien des Antiziganismus ergänzen anthropologische und vorurteilsbezogene Herangehensweisen, sind jedoch bisher wenig ausgebaut.

Im Workshop soll herausgearbeitet werden, auf welche Weise kapitalistische Akkumulations- und Subjektivierungsformen berücksichtigt werden müssen, um den Besonderheiten von Antisemitismus, Rassismus und Antiziganismus in der Theoriebildung gerecht zu werden.

Datum:

4. und 5. November 2024

 

Ort:

Justus-Liebig-Universität Gießen

Margarete-Bieber-Saal, Ludwigstraße 34,
35390 Gießen

 

Hier finden Sie den Call for Papers für den Workshop.