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Nachhaltigkeit und Postkolonialität als Herausforderungen

Internationale Tagung an der Universität Gießen beschäftigt sich mit dem UN-Konzept einer nachhaltigen Entwicklung und den Folgen für die globale Entwicklungspolitik

Nr. 103 • 3. Juli 2023

Angesichts globaler Krisen drängt die Zeit: Die 17 Ziele zur nachhaltigen Entwicklung – Sustainable Development Goals (SDG) sollen bis 2030 weltweit umgesetzt werden. Die Weichen dazu wurden 2012 im Rahmen der UN-Konferenz zu nachhaltiger Entwicklung in Rio gestellt; vier Jahre später traten die SDG in Kraft. Welche Folgen ergeben sich für die globale Entwicklungspolitik? Welche Herausforderungen ergeben sich in im Postkolonialismus?  Welche gemeinsamen sozialen Reaktionen sind nötig, um angemessen auf den Klimawandel und andere Herausforderungen zu reagieren? Diese und zahlreiche weitere Fragen stehen im Fokus einer internationalen Tagung zum Thema „Limits of the Development Paradigm: Sustainability and Postcoloniality as Challenges“ („Die Grenzen des Entwicklungsparadigmas: Nachhaltigkeit und Postkolonialität als Herausforderungen“), die am 6. und 7. Juli 2023 im International Graduate Center for the Study of Culture (GCSC) an der Justus-Liebig-Universität Gießen (JLU) stattfindet. 

„Die mit der Formulierung der 17 SDG in Angriff genommene Perspektive einer planetarischen Entwicklung als nachhaltige Entwicklung kann als ambitionierte Neukalibrierung des Fortschrittsgedankens verstanden werden, wie er die modernen Gesellschaften seit etwa 300 Jahren geprägt hat“, erläutert der Gießener Kultursoziologe Prof. Dr. Jörn Ahrens: „Das Verständnis eines linearen und unaufhaltsamen Fortschritts ist in den vergangenen Jahrzehnten zunehmend in die Krise geraten, speziell durch das Aufkommen globaler Risiken wie Klimawandel, Pandemie etc.“ Damit müsse auch das Grundverständnis von Fortschritt neu formuliert werden, nämlich „als eine Form der Ko-Existenz von Menschen, insbesondere zwischen Menschen und Natur“, so Ahrens. Nicht infrage stehe die Idee des Fortschritts selbst und die Notwendigkeit von Entwicklung. Der Bezug auf technischen Fortschritt als Motor der gesellschaftlich ökonomischen Entwicklung als „Modernisierung“ sei jedoch nach wie vor verbreitet.

Gerade die Gesellschaften des Globalen Südens streben, so die Experteneinschätzung, weiterhin danach, an die Entwicklungsstandards der fortgeschrittenen Gesellschaften anzuschließen. Derartige Bestrebungen sowie die zum Teil sehr unterschiedlichen Perspektiven im Globalen Süden und im Globalen Norden werden auf der Tagung zur Sprache kommen, die Prof. Ahrens gemeinsam mit Prof. Dr. Stefan Peters, Professur für Friedensforschung an der JLU und Direktor des Deutsch-Kolumbianischen Friedensinstituts CAPAZ, und Honorarprofessor Dr. Matthias Rompel, ebenfalls Institut für Soziologie der JLU und Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) ausrichtet. Die drei Wissenschaftler arbeiten mit ihren Teams zusammen im Projekt „Soziale Klimawandelfolgen und Nachhaltigkeitsinnovation im südlichen Afrika und dem nördlichen Südamerika“ (NISANSA) das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert wird. Sprecherin des NISANSA-Gesamtprojekts ist die Geographin Prof. Dr. Simone Strambach von der benachbarten Philipps-Universität Marburg (UMR). Auch auf diesem Forschungsgebiet besteht eine enge und fruchtbare Kooperation mit der UMR.

Entwicklungspolitik zwischen Wohlstand, Ressourcenschonung und globaler Gerechtigkeit
Das Konzept der nachhaltigen Entwicklung gewährleistet, dass herkömmliche Ideen von Fortschritt und Entwicklung letztlich nicht in Frage gestellt werden. Beides soll möglich sein: Entwicklung anhand definierter Standards hinsichtlich materiellem Wohlstand einerseits sowie Ressourcenschonung und globale Gerechtigkeit andererseits. Zeitgenössische Ansätze in der Entwicklungspolitik versuchen diese Balance zu halten; an der globalen Aufteilung in Zentrum und Peripherie ändern sie jedoch wenig. Damit vollziehen sich heute Praktiken der Entwicklungspolitik innerhalb neu gesetzter Grenzen, da Entwicklung neben sozialen und wirtschaftlichen Aspekten auch die Integrität von Umwelt und Ökologie gewährleisten muss. 

Auf der Tagung wird aus unterschiedlichen Blickwinkeln zu diskutieren sein, inwieweit die gleichzeitige Beibehaltung des weitgehend an Standards des Globalen Nordens orientierten Entwicklungsgedankens für den Globalen Süden einen Widerspruch zwischen Nachhaltigkeit und Modernisierung definiert, der nicht nur bestehende Ungleichheiten beibehält, sondern auch neue schafft, während der gleichfalls in einer Modernisierungskrise befindliche Globale Norden weit weniger unter dem Druck transnationaler Entwicklungsagenturen steht. 

Die Tagung findet statt in Kooperation mit dem BMBF als Netzwerktagung 2023 der folgenden geistes- und sozialwissenschaftlichen Förderlinien des BMBF: Area Studies, Käte Hamburger Kollegs, Maria Sibylla Merian Centres.
Vertreterinnen und Vertreter der Medien sind herzlich eingeladen. 

 

 

  • Weitere Informationen

https://www.uni-giessen.de/de/fbz/fb03/institutefb03/soziologie
https://nisansa.org/ 

 

  • Termin

6. und 7. Juli 2023 / Auftakt: Donnerstag, 6. Juli 2023, 9 Uhr /Keynote, Prof. Manuela Boatca (Freiburg): 6. Juli 2023, 18.15 Uhr
Abschluss: Freitag, 7. Juli 2023, 12.45 Uhr 
Veranstaltungsort: International Graduate Center for the Study of Culture (GCSC), Otto-Behaghel-Straße 12, 35392 Gießen (Philosophikum I)

 

  • Kontakt  

Prof. Dr. Jörn Ahrens, Professur für Kultursoziologie
Institut für Soziologie der JLU Gießen
Karl-Glöckner Straße 21 E, 35394 Gießen 
Telefon: 0641 99-23260 ; E-Mail:  joern.ahrens

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