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„Ich bin so gierig nach Leben – Brigitte Reimann“

Prof. Carsten Gansel, Germanist an der Justus-Liebig-Universität Gießen, veröffentlicht anlässlich des 90. Geburtstags der Autorin Brigitte Reimann (1933 – 1973) Biografie

Nr. 113 • 19. Juli 2023

Buchcover – Aufbau Verlag Berlin 2023
Buchcover – Aufbau Verlag Berlin 2023

Brigitte Reimann, eine der herausragenden Schriftstellerinnen der DDR, wäre am 21. Juli 2023 90 Jahre geworden. Doch die faszinierende Autorin, geboren am 21. Juli 1933 in Burg, Provinz Sachsen, erlag bereits am 20. Februar 1973 in Ost-Berlin im Alter 39 Jahren einem Krebsleiden. Der Gießener Germanist Prof. Dr. Carsten Gansel verleiht Brigitte Reimann nun erneut eine Stimme und stellt in diesen Tagen die Biographie „Ich bin so gierig nach Leben –  Brigitte Reimann“ vor. 

Am bekanntesten dürfte einem breiten Publikum Brigitte Reimanns unvollendeter Roman „Franziska Linkerhand“ sein, der 1973 postum im Verlag Neues Leben in Ost-Berlin erschien. In der Erstausgabe war etwa vier Prozent des Gesamttextes gestrichen, darunter viele Passagen, die sich kritisch mit der DDR auseinandergesetzt hatten. Erst 1998 folgte eine ungekürzte Neuausgabe. Auch das positive Ende des Romans war, wie aus Reimanns Notizen hervorgeht, von ihr offenbar durchaus nicht so versöhnlich gedacht und den offiziellen Vorgaben in der DDR geschuldet, um so der Zensur zu entgehen.

Prof. Gansel stützt seine aktuelle Biographie auf reiches, bislang nur unzureichend
erschlossenes Material und neue Funde. „Ich freue mich, das literarische Werk von Brigitte Reimann neu zu beleuchten und Einblicke zu ermöglichen, die auch das kulturelle Leben in der DDR noch einmal in einem gänzlich anderen Licht erscheinen lassen.“ Brigitte Reimann sei in ihrer Unangepasstheit damals für viele Menschen ein Vorbild gewesen. „Es ist verblüffend, wie aktuell sich dieses unangepasste Frauenleben aus heutiger Sicht darstellt.“ Eine wertvolle Quelle waren für den Literaturwissenschaftler auch die Tagebücher, die vielfach als das eigentliche literarische Hauptwerk der Autorin angesehen werden.

Brigitte Reimann gilt als Begründerin der „Ankunftsliteratur“. Sie verkörpert das Lebensgefühl einer ganzen Generation, die damals im realen Sozialismus der noch jungen DDR ankommt und sich mit dem auseinandersetzt, was dieser Alltag mit sich bringt. „Brigitte Reimann lebte so intensiv und unkonventionell, dass sie damit zugleich aneckte und faszinierte. Sie galt als Femme fatale, dabei war sie vor allem eine selbstbestimmte Frau, die an die Kraft der Literatur ebenso glaubte wie an die Ideale des Sozialismus – und die kein Blatt vor den Mund nahm, wenn ihr etwas nicht richtig erschien. In einem männlich dominierten Umfeld trat sie konsequent für die Kunst ein, für freie Meinungsäußerung und das Recht auf ein glückliches Leben“, heißt es in der Ankündigung des Aufbau-Verlags. Das Fazit: „Carsten Gansels umfassende Biographie liefert die spannende Neubewertung des Lebens einer Schriftstellerin in seinen Höhen und Tiefen und eines komplexen Werkes, das derzeit international entdeckt und gefeiert wird.“

Prof. Dr. Carsten Gansel, Jahrgang 1955, ist seit 1995 Professor für Neuere deutsche Literatur- und Germanistische Mediendidaktik an der JLU und beweist immer wieder einen besonderen literarischen Spürsinn. Im Jahr 2016 hat er mit dem Band „Durchbruch bei Stalingrad“ national und international für Furore gesorgt. Es war ihm gelungen, die 1949 vom russischen Geheimdienst konfiszierte Urfassung des großen Antikriegsromans von Heinrich Gerlach in russischen Archiven wiederzufinden.  Ein Jahr später gab er Heinrich Gerlachs „Odyssee in Rot“ heraus. Im Sommer 2016 erschien die Originalfassung des Weltbestsellers „Kleiner Mann – was nun?“ von Hans Fallada mit einem ausführlichen Nachwort von Prof. Gansel. An der Entdeckung des Originalmanuskripts hatte er einen maßgeblichen Anteil. Schließlich spürte Gansel den verschollenen Gesellschaftsroman „Wir selbst“ von Gerhard Sawatzky auf und machte das Epos 2020 der breiten Öffentlichkeit zugänglich. Im vergangenen Jahr legte er unter dem Titel „Kind einer schwierigen Zeit: Otfried Preußlers frühe Jahre“ eine Neuerscheinung zur dramatischen Lebensgeschichte des beliebten Kinder- und Jugendbuchautors vor.

Prof. Gansel ist Vorsitzender der Jury zur Verleihung des Uwe-Johnson-Literaturpreises sowie des Uwe-Johnson-Förderpreises und Mitglied des PEN-Zentrums

  • Weitere Informationen
    Carsten Gansel: Ich bin so gierig nach Leben – Brigitte Reimann. Die Biographie, Aufbau Verlag Berlin 2023, 528 Seiten, Hardcover 30 Euro, ISBN 978-3-351-03964-6, E-Book 18,99 Euro (erschienen am 18. Juli 2023)

  • Kontakt
    Prof. Dr. Carsten Gansel
    Institut für Germanistik der Justus-Liebig-Universität Gießen
    Otto-Behaghel-Straße 10 B, 35394 Gießen
    Telefon:  0641 99-29145; E-Mail: carsten.gansel

 

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