Inhaltspezifische Aktionen

Russlands Krieg gegen die Ukraine: Die Bot-Offensive zur Invasion

Bots spielten offenbar wesentliche Rolle bei der Verbreitung pro-russischer Propaganda – Forschende aus Gießen und München analysierten fast 350.000 Twitter-Nachrichten

Nr. 138 • 14. September 2023
 
Online-Propaganda ist zu einem wichtigen Instrument der modernen Kriegsführung geworden. Als russische Truppen im Februar 2022 die Ukraine überfielen, begann auch ein Informationskrieg im digitalen Raum. In einer groß angelegten empirischen Studie hat ein Team der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU), an dem auch der Wirtschaftswissenschaftler Prof. Dr. Nicolas Pröllochs von der Justus-Liebig-Universität Gießen (JLU) beteiligt war, die Verbreitung pro-russischer Propaganda auf der Plattform X (vormals Twitter) untersucht. Die Ergebnisse, die in der Zeitschrift „EPJ Data Science“ veröffentlicht wurden, zeigen, dass Bots bei der Verbreitung und Vervielfältigung der Propaganda-Posts eine wesentliche Rolle spielen und dass gezielt bestimmte Länder adressiert werden.
 
Bereits in früheren Konflikten nutzte Russland mit seiner „Internet Research Agency“ gezielte Social-Media-Kampagnen, um die öffentliche Meinung zu beeinflussen und die politische Polarisierung zu verstärken. „Hinweise, dass dies auch im Rahmen der Invasion der Ukraine der Fall ist, waren bisher weitgehend anekdotischer Natur“, sagt LMU-Forscher Prof. Dr. Stefan Feuerriegel. „Breit angelegte empirische Studien fehlten bis dato. Diese Lücke haben wir nun geschlossen.“ Die Forschenden analysierten dafür insgesamt 349.455 Twitter-Nachrichten mit pro-russischen Inhalten wie etwa die unter dem Hashtag #istandwithrussia. Abgesetzt wurden die Nachrichten zwischen Februar und Juli 2022.Die Analysen ergaben, dass pro-russische Nachrichten rund 251.000 Retweets erhielten und damit etwa 14,4 Millionen Nutzer erreichten, was ihre virale Verbreitung unterstreicht. 
 
Zudem konnten die Forschenden zeigen, dass Bots eine überproportional große Rolle spielten und die Verbreitung und Vervielfältigung pro-russischer Nachrichten massiv verstärkten. Insgesamt identifizierten die Forschenden mithilfe von selbstlernenden Software-Tools rund 20 Prozent der Verbreiter solcher Nachrichten als Bots. Die Bots interagieren in stark vernetzten Retweet-Netzwerken und zielen auf eine möglichst breite Sichtbarkeit der Nachrichten ab, sodass Inhalte verbreitet werden, die anderenfalls nicht viral gehen würden. 
 
„Uns ist aufgefallen, dass die Menge der versendeten pro-russischen Nachrichten an dem Tag Spitzenwerte erreichte, an dem die Generalversammlung der Vereinten Nation die Resolution ES-11/2 verabschiedete, in der die Invasion verurteilt wird“, berichtet Prof. Pröllochs. Analysen zur Lokalisation der Bots zeigten, dass diese besonders in Ländern aktiv waren, die sich bei der UN-Resolution ES-11/1 zum Ukraine-Krieg am 2. März 2022 der Stimme enthalten hatten. Dazu gehörten etwa Indien, Südafrika und Pakistan. An diesem Tag war die Dichte an pro-russischer Aktivität auf Twitter gerade in diesen Ländern bemerkenswert hoch. Schon am kommenden Tag war es mit dieser außergewöhnlichen regionalen Verteilung wieder vorbei, wenngleich die Pro-Russland-Propaganda auch an diesem Tag im Vergleich Spitzenwerte auf Twitter erreichte. 
 
Aus ihren Ergebnissens schließen die Forschenden, dass diese Länder gezielt von pro-russischen Bots adressiert wurden, um die Unterstützung für Sanktionen gegen Russland zu verringern und die Solidarität mit der Ukraine zu schwächen. Auffallend sei, so die Autoren, dass viele Bots, die pro-russische Nachrichten verbreiteten, kurz vor der UN-Abstimmung erstellt wurden, was auf eine absichtliche und geplante Manipulation der öffentlichen Meinung auf Twitter hinweist.
 
„Insgesamt deuten unsere Ergebnisse auf eine groß angelegte russische Propagandakampagne in den sozialen Medien hin und verdeutlichen die neuen Bedrohungen für die Gesellschaft, die von ihr ausgehen. Unsere Ergebnisse legen auch nahe, dass das Eindämmen von Bots eine wirksame Strategie zur Eindämmung solcher Kampagnen sein könnte“, sagt Dominique Geißler, Doktorandin an Feuerriegels Institut und Erstautorin der Studie.
 
  • Publikation
Geissler, D., Bär, D., Pröllochs, N. et al. Russian propaganda on social media during the 2022 invasion of Ukraine. EPJ Data Sci. 12, 35 (2023). https://doi.org/10.1140/epjds/s13688-023-00414-5 
 
  • Kontakt
 
Prof. Dr. Nicolas Pröllochs
Professur für Data Science & Digitalisierung 
Fachbereich Wirtschaftswissenschaften der Justus-Liebig-Universität Gießen (JLU) 
Licher Straße 62, 35394 Gießen
 
 
Presse, Kommunikation und Marketing • Justus-Liebig-Universität Gießen • Telefon: 0641 99-12041
 
Schlagwörter
Forschung