Inhaltspezifische Aktionen

1914-1929 - Kindheit & Jugend

Geburt


Es ist der 4. Februar 1914, als Alfred Andersch im Münchener Stadtteil Neuhausen, geboren wird.

Neuhausen, nördlich von der königlichen Residenzstadt München, zählt zu dieser Zeit nicht zu den Glanzpunkten der Stadt. Fabrikarbeiter, Handwerker, kleine Angestellte und Kaufleute besiedeln den Stadtteil. Das Münchner Bildungs- und Besitzbürgertum hält sich von Neuhausen möglichst fern.

Das Erscheinungsbild der Stadt war durch ihr Militärwesen geprägt, denn hier im 21. Bezirk hatte die Landeshauptstadt ihr Kasernenviertel. Das düstere Milleu, in welchem Andersch einen Großteil seiner Jugend verbrachte, bot ihm einen deprimierenden Eindruck. Im Gegensatz zu seinem Vater konnte Alfred der Umgebung niemals heimisch werden.


In dem autobiografischen Werk Kirschen der Freiheit schildert er sein Stadtviertel als eine Landschaft verwaschener Häuserfronten, toter Exerzierplätze, aus roten Ziegelwänden zusammengesetzter Kasernen.

 


Beziehung zum Vater


Anderschs Großvater war Professor der Philologie an einem Gymnasium in Bad Cannstatt, bevor ihm Ende der siebziger Jahre die Aufgabe als Erzieher am Hof des Fürsten von Thurn und Taxis in Regensburg zu Teil wurde. Bei der Ausbildung seiner beiden Söhne Rudolf und Alfred (Anderschs Vater), legte er also höchsten Wert darauf, ihr Interesse an Literatur, Kunst und Musik zu fördern.
Während Rudolf während der zwanziger Jahre als Maler im Rheinland bekannt wurde, schlug Alfred einen anderen Weg ein: Er wurde Antiquariatsbuchhändler.

Während der Jahrhundertwende verschlug ihn seine berufliche Tätigkeit ins damals österreichische Böhmen, nach Marienbad, wo er Alfred Anderschs spätere Mutter Hedwig kennenlernte.

Sie heirateten 1905.

 

Alfred Andersch beschrieb seine Mutter als eine unglaublich lebenstüchtige Frau, zu der er eine innige Zuneigung verspürte.

Sein Vater hingegen entsprach, allen Beschreibungen nach, dem Typus eines aristokratisch denkenden Familienoberhauptes: eine autoritäre Figur, zu der sich Andersch, trotz dessen aufbrausender, jähzorniger Art, in einer Mischung aus Zuneigung, Mitleid und politischer Gegnerschaft verbunden fühlte.

 

Der erste Weltkrieg stürzte die Familie Andersch in finanzielle Nöte und Anderschs Vater, der als Truppenoffizier an der Westfront eingezogen worden war, fand sich beruflich nicht mehr zurecht.

An Antiquariatsbuchhändlern war in der ausgezehrten Stadt wenig Bedarf.

Er versuchte sich als Immobilienhändler und Vertreter verschiedenen Versicherungsgesellschaften zu etablieren, scheiterte jedoch und stürzte die Familie in noch größere Schulden.

 

Im August 1918 rief Rudolf Glauer alias Baron Sebottendorf die „Thule“ ins Leben, einen Verband, der 250 Mitglieder zählte, darunter nicht wenige, die später zur Führungs-Clique der Hitler-Partei aufsteigen sollten. Zu ihren Gründern gehörte neben Personen wie Rudolf Heß (späterer „Stellvertreter des Führers“), Karl Fiehler (der spätere Nazi-Oberbürgermeister Münchens), Alfred Rosenberg und Anton Drexler (Vorsitzende der Arbeiter-Partei) und Julius F. Lehmann (Gründer des J.F. Lehmann Verlags, der überwiegend rassistische Literatur herausbrachte), auch Alfred Andersch Senior.

Als 1920 die NSDAP ausgerufen wurde, trat Andersch Senior als einer der Ersten bei.

Als bedingungsloser Anhänger nahm er auch im November 1923 am Hitler-Putsch teil. Er wurde verhaftet, kam jedoch nach drei Tagen wieder frei.

Einige Jahre später erkrankt Andersch Senior schwer. Grund war ein Granatsplitter aus dem Krieg, der noch im Bein steckte. Um der Familie über seinen Tod hinaus finanzielle Versorgung zu sichern, setzte er seinem Leben nicht selbst ein Ende (seine Frau Hedwig wäre ansonsten keine Rente zugefallen), sondern harrte aus, bis er 1929, im Alter von 54 Jahren starb.

Wenige Monate später trat sein Sechzehnjähriger Sohn, Alfred Andersch dem Kommunistischen Jugendverband bei.