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Prof. Dr. Carsten Gansel

Professor für Neuere deutsche Literatur und Germanistische Literatur- und Mediendidaktik

Prof. i.R. Dr. Carsten Gansel

 

Anschrift: Otto-Behaghel-Straße 10 B
35394 Gießen

E-Mail:Carsten.Gansel@germanistik.uni-giessen.de

 

 

Weitere Homepage siehe unter: 

www.carsten-gansel.de

 

HINWEISE ZUR SPRECHSTUNDE:

Anmeldung bitte vorher bei Frau Katja Wenderoth  (Katja.Wenderoth@germanistik.uni-giessen).

Internationale wissenschaftliche Tagung zum 100. Geburtstag von Otfried Preußler

4. - 6. Oktober 2023 an der Humboldt-Universität zu Berlin
Tagungsprogramm

INTERNATIONALE TAGUNG: Deutschsprachiger Rundfunk im Exil - 

Deutsche Emigrantinnen und Emigranten und die Rundfunkarbeit im Widerstand gegen das nationalsozialistische Deutschland (1933-1945) (Teil II)
29. Juni bis 01. Juli 2023 am Deutschen Rundfunkarchiv (DRA) Potsdam
Tagungsprogramm

INTERNATIONALE TAGUNG: Deutschsprachiger Rundfunk im Exil - 

Deutsche Emigrantinnen und Emigranten und die Rundfunkarbeit im Widerstand gegen das nationalsozialistische Deutschland (1933-1945) (Teil I)
Justus-Liebig-Universität Gießen
17. - 19. Februar 2022 

Tagungsprogramm

 

 

Mitgliedschaften und Aktivitäten

  • 1990 - 1994 Mitglied im Vorstand des Deutschen Germanistenverbandes.
  • Seit 2004 Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat der Arbeitsstelle für Lessing-Rezeption.
  • Im Mai 2005 Wahl in das P.E.N-Zentrum Deutschland.
  • Gutachter u.a. des DAAD, der DFG, der Alexander von Humboldt-Stiftung, der VW-Stiftung.
  • Mitglied in mehreren Auswahlkommissionen des DAAD.
  • Sprecher des Kuratoriums zur Verleihung des Uwe-Johnson-Preises.
  • Vorsitzender der Jury zur Verleihung des Uwe-Johnson-Preises sowie des Uwe-Johnson-Förderpreises (uwe-johnson-preis.de)
  • Januar 2005 - Dezember 2012 Leitung der Germanistischen Institutspartnerschaft zwischen den Germanistischen Instituten der Universität Gießen und der Universität Zielona Góra/ Polen
  • August 2008 - Dezember 2012 Leitung der Admoni-Doktorandenschule für die Germanistik in Polen (Universität Zielona Góra)
  • 2007 - August 2012 einer der zwei Gründungsdirektoren des Zentrums für deutschsprachige Gegenwartsliteratur und Medien (ZGM) an der Universität Zielona Góra/ Polen.
  • ab 2010 Leitung der Germanistischen Institutspartnerschaft zwischen den Germanistischen Instituten der Universität Gießen und der Universidad de la Habana/Cuba
  • 2011 Nominierung für den Diefenbaker Award (Canada)
  • ab 2012 Verantwortlich für die Kooperation und den Wissenschaftlichen Austausch mit der University of Calgary/Canada (gemeinsam mit Prof. Dr. Florentine Strzelczyk)
  • 2012 Wiederentdeckung der Urfassung von Heinrich Gerlachs Antikriegsroman „Durchbruch bei Stalingrad“ (1945) in einem Moskauer Archiv

  • 2014 Einrichtung und Leitung der Germanistischen Institutspartnerschaft mit der Universität Stettin (Polen)

  • 2014 Institutspartnerschaft der Alexander von Humboldt Stiftung Gießen –Wrocław. Forschungskooperation zwischen dem Lehrstuhl für Neuere Deutsche Literatur und Germanistische Literatur- und Mediendidaktik des Germanistischen Instituts der Justus-Liebig-Universität Gießen (Prof. Dr. Carsten Gansel) und dem Lehrstuhl für Deutsche Literatur nach 1945 des Instituts für Germanische Philologie der Universität Wrocław (Prof. Dr. hab. Tomasz Małyszek/ Dr. hab. Monika Wolting)

  • 2016 Edition der 2012 in einem Moskauer Archiv wiederentdeckten Urfassung von Heinrich Gerlachs Antikriegsroman „Durchbruch bei Stalingrad“ (1945) mit einem umfangreichen Nachwort (Spiegel Bestseller), internationaler Erfolg, Übersetzungen ins Französische, Englische, Holländische und Russische

  • 2016 Edition und Nachwort der Originalfassung von Hans Falladas Welterfolg „Kleiner Mann – was nun“ im Aufbau Verlag (gemeinsam mit Nele Holdack und Mike Porath), Spiegel-Bestseller

  • 2017 Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirates der Arbeitsstelle für Lessing-Rezeption Kamenz

  • 2017 Visiting Scholar an der Cornell University (USA)

  • 2017 Bundesverdienstkreuz für Verdienste um die deutsche Literatur.

  • 2020 bei Galiani Edition des 1938 von Stalin verbotenen und dann vernichteten großen Gesellschaftsromans „Wir selbst“ von Gerhard Sawatzky über die Russlanddeutschen (mit umfangreichem Nachwort)

  • 2020 Einrichtung und Leitung der Germanistischen Institutspartnerschaft mit der Staatlichen Universität Kasan (Russland)

  • 2020 Einrichtung und Leitung der Germanistischen Institutspartnerschaft mit der Staatlichen Universität Kasan (Russland)

  • 2021 Top-Global-Professur an der Keio-University Tokyo (Japan)

  • 2021 Vorsitzender der Christa-Wolf-Gesellschaft (Berlin).2022 Hessen schafft Wissen. Podcast mit Carsten Gansel. Literaturwissenschaft: Die Geschichte hinter der Geschichte (Teil 1 und 2)

Mitherausgeber

Neuerscheinungen:

1923 - 2023: 100 Jahre Otfried Preußler

©  Francis Koenig

Carsten Gansel: Flüchtige Blicke oder Wie Fakes zum Bestandteil einer Biographie gemacht werden.

Podcast in der Reihe Hessen schafft Wissen: Durchs Schreiben überleben - Otfried Preußlers frühe Jahre

SWR2 Kultur: Kleine Hexe, böse Zauberer - Die magische Welt des Otfried Preußler

SWR2 Hotzenplotz, Krabat und der Zauberer der Versöhnung - Erinnerungen an Otfried Preußler

Carsten Gansel: Kind einer schwierigen Zeit. Otfried Preußlers frühe Jahre. 

Kinder brauchen Geschichten - 100 Jahre Otfried Preußler

 

 

 

Brigitte Reimann: Katja. Erzählungen über Frauen. Hrsg. von Carsten Gansel. Berlin: Aufbau Verlag 2024.

Unbekannte, noch nie in Buchform veröffentlichte Erzählungen über Frauen: »Beim Thema Gleichberechtigung gehe ich auf die Barrikaden.« BRIGITTE REIMANN, 1963

Eine Schülerin sucht, wie die junge Brigitte Reimann einst selbst, nach einem Weg, eine ungeplante Schwangerschaft zu beenden, und muss erkennen, dass sie in dieser »Reifeprüfung« ganz auf sich allein gestellt ist. Katja muss sich entscheiden, ob sie den Mann, den sie liebt, heiratet, obwohl er von ihr verlangt, sich seiner Karriere unterzuordnen und ihren Traumjob aufzugeben. Wie schwer sich Selbstbestimmtheit und Care-Arbeit unter einen Hut bringen lassen, erleben die Bewohnerinnen eines Mietshauses einen Abend vor Weihnachten. Mit ihrem Erzählzyklus wollte die Autorin der Stellung der Frau in der Gesellschaft literarisch nachspüren – so massiv empfand sie die Beschränkungen, gegen die sie ständig anzukämpfen hatte, und die Vorurteile, denen sie sich aufgrund ihrer selbstbewussten Lebensentscheidungen immer wieder ausgesetzt sah.

»Die komplizierten Liebesgeschichten, die Brigitte Reimann beschreibt oder selbst erlebt hat, treffen die Gefühle oder zumindest die Sehnsüchte der Leserinnen, die sich ermutigt fühlen durch die Kühnheit, mit der diese Autorin sich ihnen öffnet.« CHRISTA WOLF

»Brigitte Reimann gelingt es, die berauschende, unmögliche Verlockung Wirklichkeit werden zu lassen: die eigenen Ideale zu leben.« THE NEW YORKER

Hier weitere Verlagsinformationen

Carsten Gansel im Gespräch über Brigitte Reimann: "Katja. Erzählungen über Frauen"

NDR: "Katja": Wiederentdeckte Texte von Brigitte Reimann.

 

Gitta Lindemann: Meine Fensterplätze. Mit Bildern von Rosa Loy. Hrsg. von Carsten Gansel. Berlin: Okapi Verlag 2023.

 

Hier weitere Verlagsinformationen

 

Carsten Gansel: Ich bin so gierig nach Leben. Brigitte Reimann. Die Biographie. Berlin: Aufbau Verlag 2023.

 

 

Gerade ist die Biographie von Carsten Gansel zu einer der spannendsten Autorinnen aus der DDR erschienen.

Auf die Frage, welches Material er in zahlreichen Archiven neu gesichtet und gefunden hat,  antwortet Carsten Gansel so:

In der Tat gibt es zahlreiche Fragen, die bislang nicht hinreichend in den Blick geraten sind. Ein erstes Beispiel. Brigitte Reimann hat seit 1946 Tagebuch geführt. Sämtliche dieser frühen Tagebücher verbrennt sie Ende 1959. Aber im Brigitte Reimann-Archiv konnte ich einige Einträge aus dem Jahr 1947 finden, die erhalten sind, weil die Notizen auf separaten Blättern erfolgt waren. Am 14. Februar 1947 liefert sie weitreichende Informationen, die die persönliche Situation betreffen wie auch Hinweise zu den sowjetischen Besatzern liefern. Im Kapitel zur Kinderlähmung konnte ich einen Eintrag aus dem Krankenhaus aufnehmen, in dem sie akribisch ihren Tagesablauf festhält.

Das Kapitel 6 der Biographie gibt Auskunft über diese im Brigitte-Reimann-Archiv in Neubrandenburg vorliegenden Tagebuchnotizen (S. 73, 74):

6. Beginnende Normalisierung – der Alltag ab 1947

Brigitte Reimann hat schon als Zwölfjährige Tagebuch geführt und in den Jahren von 1947 bis 1953 um die zwanzig Diarien gefüllt. Rückblickend spricht sie Ende 1959 von vielen hundert Seiten „bedeckt mit einer kindlich krakeligen und später eine affektiert schwungvollen Handschrift“. Dem Tagebuch hat sie Tag für Tag ihre „winzigen und gewichtigen Erlebnisse“ anvertraut. Berichtet wird ausführlich über die „politischen Ereignisse, über unsere ideologischen Kämpfe an der Schule, über meine Arbeit als FDJ-Multifunktionärin, über meine Lehrerinzeit und meine lieben kleinen Schülerinnen“.[1] Sämtliche dieser Tagebücher verbrennt sie Ende 1959! Übrig geblieben sind ganz wenige Notizen und auch die nur, weil die Einträge auf separaten Blättern erfolgt waren und nur als Notizen deklariert sind. Dass die Tagebücher nicht mehr existieren, ist ein unschätzbarer Verlust, allein wenn man den wiedergefundenen Eintrag vom 14. Februar 1947 sieht, in dem sie in einer schwer entzifferbaren Handschrift weitreichende Informationen zur persönlichen Situation wie auch zur Rolle der sowjetischen Besatzer liefert:

Seit meinem letzten Tagebucheintragung ist ja nun so ziemlich 1 Jahr vergangen. Ja – es stimmt schon, ich bin mächtig faul. Das ist beinahe meine einzige Begabung. Darum will ich dieses Buch ein Gelegenheits- und nicht ein Tagebuch nennen. Ich werde nur schreiben, wenn es was Besonderes gegeben hat. Es hat sich sehr viel verändert und ereignet, seit ich das letzte Mal in das andere Heft geschrieben habe. Wir hatten ein halbes Jahr lang einen Russen, Wassili. Er war wirklich prima und konnte fein tanzen – russisch natürlich. Er war schon mit 10 Jahren von Muttern entlaufen u. später Artist im Varitiée [sic] geworden. Er war sehr drollig u. eifriger Patriot. Wir haben oft furchtbar gelacht, wenn er uns in seinem komischen Deutsch von Stalins Unübertrefflichkeit zu überzeugen suchte. Im Januar ist er nach Rußland zurückgefahren. Furchtbar viel Eßwaren hat er für seine Mutter mitgenommen! 1 Zentner Mehl u. 1 Kiste Spekk und Schinken. Und Stoff! Und ein Abendkleid, todschick, für seine Frau, die er noch gar nicht hat, noch nicht einmal kennt! Jetzt haben wir einen Juden mit Frau. Er ist ein bischen komisch, seine Sonja aber ein reizendes Frauchen. Hübsch u. nett u. fleißig. Als wir Kohlen kriegten, hat sie sehr eifrig mit reingetragen, was die Russenfrauen sonst nicht tun. [2]

Einmal mehr erstaunen, muss der für eine Zwölfjährige abgeklärt-humorvolle Ton, ebenso wie der hohe Grad an Reflexivität. Auch über die Lebensverhältnisse gibt die Notiz Auskunft. So ist aus dem Eintrag zu erfahren, dass ein sowjetischer Offizier in der Villa der Reimanns untergebracht ist, der auf ironische Distanz der Familie stößt, als er von der „Unübertrefflichkeit Stalins“ spricht. Auch der Hinweis zur neuen Einquartierung – „Jetzt haben wir einen Juden und seine Frau“ – wie auch die Anmerkung zur „Russenfrau“ ist vielsagend und belegt wiederum, in welcher Weise die über Jahre erfolgte Propaganda in Nazideutschland Wirkung erzielt hat. Umfragen, die die amerikanische Militärregierung zwischen 1945 und 1947 in Nachkriegsdeutschland durchführt hat, belegen, dass 15 bis 17% der Deutschen sich noch als überzeugte Nazis bezeichnen und immerhin 47 bis 65% den Nationalsozialismus für eine durchaus gute Idee halten, die lediglich falsch umgesetzt worden sei. Zudem ergibt sich, dass 40% starke Antisemiten waren und 55 bis 65% der Deutschen nach wie vor der Meinung sind, bestimmte „Rassen“ seien besser zum „Herrschen“ geeignet als andere.[3] Den Eintrag beendet sie mit einer wichtigen Notiz. „Jetzt muß ich schließen“, heißt es, um dann fortzufahren, „doch halt, noch etwas von Vati. Er ist in russischer Gefangenschaft, in Jaroslawel und wohnt in einem Kloster. Er darf alle 2 Monate ungefähr eine Karte schreiben. Wir schreiben oft und viel. Hoffentlich kommt er gut über den Winter. Bei uns sind nämlich schon -30˚ gewesen – und nun erst in Rußland.“[4] Jaroslawel, wo der Vater sich im Kriegsgefangenenlager befindet, ist eine Großstadt im russischen Teil der Sowjetunion, nur etwa 280 Kilometer von Moskau entfernt...

[1]: Brigitte Reimann: Ich bedaure nichts, a.a.O., S. 123 (11.11.1959)

[2]: Brigitte Reimann: Eintrag vom 14. Februar 1947. In: BRA, Signatur 3.

[3] Umfragen von OMGUS, zitiert nach: Jeffrey Herf: Zweierlei Erinnerung. Die NS-Vergangenheit im geteilten Deutschland. Berlin: Propyläen-Verlag 1998, S. 243f. Siehe dazu ausführlich Carsten Gansel: Zur Vorgeschichte, Durchführung und den Folgen der Schriftstellerkongresse (1950 und 1952) in der DDR. In: Ders. (Hrsg.): Erinnerung als Aufgabe? Dokumentation des II. und III. Schriftstellerkongresses in der DDR 1950 und 1952. Göttingen 2008: Vandenhoeck und Ruprecht, S. 1-61.

[4]:Brigitte Reimann: Eintrag vom 14. Februar 1947. In: BRA, Signatur 3.

 

Zudem hat Carsten Gansel auch frühe Laienspiele – sie spielten bislang in Darstellungen zu Brigitte Reimann keine Rolle – genauer untersucht. Und es gibt weitere Funde: „Ganz wichtig sind auch die bisher nicht wahrgenommenen Gedichte aus der Jugendzeit oder nicht veröffentlichte Geschichten aus den 1950er Jahren“, notiert der Autor der Biographie. „Natürlich geht es auch um unbekanntes Material zum Schriftstellerverband, zu den Ajas, den „Arbeitsgemeinschaften junger Autoren“, zum 17. Juni 1953 oder zu den Verhaftungen sowie den Prozessen im Jahr 1956. In sämtliche dieser Ereignisse war Brigitte Reimann involviert. Und natürlich habe ich umfangreich die Aktivitäten des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) erfasst und konnte auch hier bislang nicht in den Horizont geratenes Material auswerten.“

Ausführlich und in dieser Weise bislang noch nicht aufgearbeitet, zeigt Carsten Gansel, wie das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) seit 1957 versucht, Brigitte Reimann zur Mitarbeit zu gewinnen, wie es ihr gemeinsam mit dem Freund und Autor Wolfgang Schreyer sowie den Kollegen aus dem Schriftstellerverband gelingt, sich aus den Verstrickungen zu befreien. Auf welche Weise dies geschieht, das ist einzigartig in der DDR und wird von Carsten Gansel unter Nutzung bislang nicht öffentlicher Dokumente belegt. So heißt es:

 

26.„Die Zukunft wird lehren, ob dieses System gut und richtig ist“ – die Magdeburger Ereignisse und das Ministerium für Staatssicherheit

Die Stasi lässt immer noch nicht locker, daher wendet sich Brigitte Reimann nach einem letzten Treffen am 23. Juni 1958 erneut an den Schriftstellerverband. „Ich betrachte mich jetzt als von meiner Schweigepflicht entbunden und stelle den Fall zur Diskussion.“ [5] Wiederum ein mutiger Schritt, bei dem die Konsequenzen ungewiss sind. Was dann folgt, ist beispiellos in der DDR. Es beginnt, bestätigt Matthias Braun, lange Jahre wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Forschungsabteilung der Stasi-Unterlagenbehörde (BStU), „eine einmalige offizielle und damit gewissermaßen öffentliche Auseinandersetzung des staatlichen Schriftstellerverbandes mit einer Dienststelle des MfS“. [6] Es kommt zu zwei Aussprachen, über die die Akten des MfS Auskunft geben. Der Magdeburger Verband bereitet sich auf diese diffizilen Verhandlungen exzellent vor. Die intellektuelle Auseinandersetzung liegt in den Händen von Wolfgang Schreyer, der ein Papier mit dem Titel „Schriftsteller und Staatssicherheit“ entwirft. Auch eine solche Denkschrift ist in dieser Form wohl einzigartig. Schreyer, mit dem ich seit Mitte der 1980er Jahre in Kontakt stand, bis er 2018 kurz vor seinem 90. Geburtstag starb, schickte mir besagte Schrift und meinte, der Text sei im Mai oder Juni 1958 entstanden. [7] Zudem gab er folgenden Hinweis: „Wie Sie hier sehen, folgt das 12-Punkte-Papier weitgehend den Denkmustern der Stasi, um diese dann in punco Autoren-Kontrolle ad absurdum zu führen. Daß wir damit der Realität so nahe kamen, hat die Behörde besonders verstimmt.“ [8] Das Papier ist von entscheidender Bedeutung nicht nur für Brigitte Reimann. Es wird hier daher erstmals in vollem Umfang zur Kenntnis gegeben (S. 387, 388).

[5]:Brief von Brigitte Reimann an Bezirksverband des DSV, 23.06. 1958. In: Ebd., Bl. 29.

[6]:Matthias Braun: Brigitte Reimann im Spiegel der Stasi-Akten. In: Deutschland-Archiv, 4/2005, S. 625-634, hier: S. 628.

[7]:Wolfgang Schreyer an Carsten Gansel, 19.11.1999. In: Archiv Gansel.

[8]:Ebd.

 

Die Dokumente stammen aus der vom Mfs zu Brigitte Reimann angelegten Akte in: BstU, III, 52/71, Archiv Nr. III 259/73.

Es wird sodann in der Biographie in weiteren Kapiteln gezeigt, dass Brigitte Reimann bis zu ihrem viel zu frühen Tod im Februar 1973 permanent im Visier der Staatssicherheit stand und nach ihrem Umzug nach Neubrandenburg zahlreiche Inoffizielle Mitarbeiter (IM) um sie gruppiert wurden. Dass es sich hier um Kollegen aus dem Schriftstellerverband handelt, denen sie vertraut, wiegt umso schwerer. Mit dem 20.4.1972 liege ein „Maßnahmeplan zur OVA ‚Denker‘ Reg. -Nr. III/52/71“, also ein „Operativer Vorgang“, vor (Siehe das Dokument des MfS).

 

Am 25. 5. 1972 wird aus einem Treffbericht des IMS „Neupeter“ (der Literaturkritiker und Autor Günter Ebert) berichtet. Dort heißt es:

Der IMS Neupeter hat wenig Lust sich noch weiter mit Brigitte Reimann zu beschäftigen. Sie ist eine Nervensäge für mich.

Jetzt habe ich das 13. Kapitel ihres Romans „Franziska Linkerhand“ begutachtet und ihr sagen müssen, dass der dort geschilderte Romanteil ein offener Angriff auf unseren Staat darstellt. Sie hat in diesem Teil einen Fall aus Leipzig verschlüsselt wiedergegeben, wo der Schriftsteller Loest inhaftiert wurde, weil er eine Listensammlung für die Frau eines Konterrevolutionärs veranstaltet hat. Etwas ähnliches macht ihr Held jetzt auch. Selbieger (sic) unterstützt eine Frau eines Republikflüchtigen und wird dafür 4 Jahre ins Zuchthaus gesteckt. (…) (siehe das Dokument).

Mit Datum vom 24.9.1972 gibt es einen „Sachstandsbericht zur OVA ‚Denker‘. Hier werden bisherige Ergebnisse zusammengefasst und nunmehr auch mitgeteilt, dass das die Ehe mit dem Arzt Dr. Burgartz „nicht harmonisch“ verläuft. Es finden sich auch Hinweise auf Brigitte Reimanns Gesundheitszustand, die eigentlich vertraulich sind (siehe das Dokument).

 

 

 

 

Mit Datum vom 8.12.1972 wird für den Zeitraum vom 15.12.1972 bis zum 30. März 1973 eine Postkontrolle eingeleitet.

In besonderer Weise hat das Ministerium für Staatssicherheit Sorge, dass das Romanmanuskript von „Franziska Linkerhand“ wie auch die Tagebücher von Brigitte Reimann in „den Westen“ gelangen könnten. Immer wieder werden die IM aufgefordert, in Erfahrung zu bringen, was Brigitte Reimann vorhat und was ihr Ehemann, der Arzt Dr. Rudolf Burgartz, machen wird, falls seine Ehefrau ihrem Krebsleiden erliegt, bevor der Roman fertig gestellt ist.

Nachdem Brigitte Reimann am 20. Februar in der Klinik in Berlin Buch ihrem Krebsleiden erliegt, gibt es drei Wochen später mit Datum vom 14. März 1973 einen „Abschlußbericht zur OVA ‚Denker‘ Reb.-Nr. III/52/71“. In diesem Bericht wird eine Art Entwarnung gegeben, denn der Verlag „Neues Leben“ habe für eine größere Summe das Manuskript wie auch die Tagebücher erworben. Konkret heißt es (siehe das Dokument)

Nach dem Tode der Schriftstellerin B., Reimann am 20.2.1973 hat sich der Verlag mit ihrem Ehemann in Verbindung gesetzt und sämtliche Manuskripte sowie ihre persönlichen Tagebücher aufgekauft, so daß keine Befürchtung besteht, daß ihre in Holland lebende Freundin in den Besitz derartiger Unterlagen gelangt.

Mit dem Tode der Schriftstellerin B. Reimann wird die weitere Bearbeitung der OVA ‚Denker‘ eingestellt und das Material der Abteilung XII abgelegt.

Diese Entscheidung wird mit dem Beschluss vom 20.03.1973 bestätigt (siehe das Dokument):

 

 

 

 

Pressestimmen:

»Brigitte Reimann gelingt es, die berauschende, unmögliche Verlockung Wirklichkeit werden zu lassen: die eigenen Ideale zu leben.« The New Yorker

»Eine aufregende, seltsamerweise übersehene Autorin, deren Bücher in Deutschland nie vergriffen waren und die es dennoch neu zu entdecken gilt.« The Guardian 

»Was Reimanns Romane groß und schön und umwerfend macht, sind ihre Frauenfiguren. Die sind so naiv, selbstbewusst, um keine Antwort und Widerrede verlegen, sinnlich und intelligent, dass man nur staunen kann.« FAS

 

Hier weitere Verlagsinformationen

Carsten Gansel im Gespräch mit Cornelia Geißler: Über die Schriftstellerin Brigitte Reimann: "Sie ist ihrer Zeit schlichtweg voraus" (FR)

Rezension in NDR

Rezension in RBB-Kultur

Rezension in Tagesspiegel: “Nur nichts Falsches schweigend mit ansehen“: Carsten Gansel erzählt das Leben der DDR-Autorin Brigitte Reimann.

 Fallada: Die RAD-Briefe aus dem besetzten Frankreich 1943. Herausgegeben und versehen mit einem Nachwort von Carsten Gansel. Berlin: Verlag Das Kulturelle Gedächtnis 2022.

 

 

Nachdem Hans Fallada mit Kleiner Mann – was nun? einen Welterfolg erlangt hat, kommen die Nationalsozialisten an die Macht. Eine Emigration schließt er zu diesem Zeitpunkt aus – wie andere auch verkennt er, in welcher politischen Lage Deutschland sich zu diesem Zeitpunkt bereits befindet. Die Angriffe in der Presse des Dritten Reichen gegen ihn nehmen zu und Fallada muss erkennen, dass er unter diesen Verhältnissen nicht mehr von Menschen erzählen kann, denen man es anmerkt, dass sie einmal am „Abgrund gelegen“ und die das „Zusammenstürzen ihrer ganzen Vergangenheiten erlebt haben“.

Obwohl er ein unerwünschter Autor wird, können seine Romane weiter erscheinen, allerdings bringen die Verhältnisse ihn wiederholt in krisenhaften Situationen. Auf Vermittlung einer Bekannten erreicht ihn 1943 das Angebot, als Reichsarbeitsdienst-Sonderführer für sechs Monate im Rahmen der kulturellen Truppenbetreuung in das besetzte Frankreich aufzubrechen. Der Weg führt ihn von Paris, wo er auf dem Schwarzmarkt einkauft, über Bordeaux bis an die spanische Grenze.
Wie Fallada den Reichsarbeitsdienst, das besetzte Frankreich und die Stimmung in Land erlebt, darüber geben die bislang unveröffentlichten Briefe Auskunft. Fallada schreibt die Briefe zwischen Mai und September 1943 an seine Frau Suse, die ihm sporadisch antwortet und aus dem heimischen Carwitz über Fliegerangriffe und erste Entbehrungen berichtet. Mit dieser Edition wird eine der letzten Lücken in Hans Falladas spannungsreicher Biographie geschlossen.

Verlagsinformationen

Falladas Briefe aus dem besetzten Frankreich - Rezension in NDR

 

Carsten Gansel / José Fernández Pérez (Hg.): Störfall Pandemie und seine grenzüberschreitenden Wirkungen. Literatur- und kulturwissenschaftliche Aspekte. Göttingen: V & R unipress 2023.

 

 

Der Band geht von störungstheoretischen Überlegungen aus und zeigt, inwieweit die Corona-Pandemie zu einem Störfall mit grenzüberschreitenden Wirkungen geworden ist. Die Pandemie betrifft in globaler Perspektive sämtliche Teilsysteme von Gesellschaft und hat entsprechende Reaktionen ausgelöst. Die Beiträge fragen danach, in welcher Weise u.a. Politik und Medien in der entstandenen Ausnahmesituation agieren. Nicht zuletzt geht es um die Rolle, die Kunst und Literatur bei der Auseinandersetzung mit einem Störfall wie der Pandemie spielen.

Verlagsinformationen

 

Carsten Gansel: Podcast in der Reihe "Hessen schafft Wissen"

 

Teil 1: Literaturwissenschaft: Die Geschichte hinter der Geschichte.

 

Teil 2: Durchs Schreiben überleben - Otfried Preußlers frühe Jahre.

 

Carsten Gansel/ Anna Kaufmann/ Monika Henrik/ Ewelina Kamińska-Ossowska (Hg.): Kinder- und Jugendliteratur heute. Theoretische Überlegungen und stofflich-thematische Zugänge zu aktuellen Kinder- und jugendliterarischen Texten. Göttingen: V & R unipress 2022.

 

 

Was leistet Kinder- und Jugendliteratur (KJL) im 21. Jahrhundert? Welche Stoffe und Themen greift sie auf? Und welche Darstellungsformen nutzt sie? Diesen und weiteren Fragen zum Handlungs- und Symbolsystem KJL wendet sich der vorliegende Band zu, der im ersten Teil theoretische Überlegungen zu aktuellen Entwicklungen und Tendenzen in der KJL entwickelt. Die Beiträge im zweiten Teil gehen ausgewählten Romanen analytisch auf den Grund. Ihr Anliegen ist es, über die Auseinandersetzung mit dem »Was« und »Wie« des Erzählens die Rolle der Texte in einer globalisierten Mediengesellschaft zu diskutieren. Der dritte Teil versammelt Beiträge zu Ehren von Prof. Dr. Benno Pubanz, der sich als Hochschullehrer, Präsident des Kulturbundes und Initiator des Umweltpreises für Kinder- und Jugendliteratur in besonderem Maße um die Literatur für junge Leser verdient gemacht hat.

Verlagsinformationen

 

Carsten Gansel: Kind einer schwierigen Zeit: Otfried Preußlers frühe Jahre.  Berlin: Galiani-Berlin 2022.

 

 

Wie das Schreiben beim Überleben hilft – die bewegende Lebensgeschichte eines der berühmtesten Kinder- und Jugendbuchautoren.

Otfried Preußler war ein deutscher Junge wie viele. Außer, dass er mit 17 anfing zu schreiben. Er kam mit 19 Jahren an die Ostfront und geriet in sowjetische Kriegsgefangenschaft. Dort rettete er sich – nicht zuletzt – durch das Schreiben. Was er dort erlebte, wie ihn diese Zeit prägte und welche Kämpfe Otfried Preußler mit sich selbst ausfocht, erzählt Carsten Gansel anhand aufsehenerregender Archivfunde und autobiographischer Texte.

Carsten Gansel zeigt, auf welche Weise seine Eltern und die böhmische Landschaft mit ihren Mythen, Sagen und Legenden, und wie Krieg und Gefangenschaft Otfried Preußler prägten und in spätere Werke wie etwa Krabat eingingen. Bei der biografischen Spurensuche hat er zahlreiche Dokumente aus schwer zugänglichen russischen Archiven aufgespürt und gänzlich unbekannte Texte von Otfried Preußler zutage gefördert. 
Auch Teile eines Jahrzehnte später entstandenen Autobiografie-Projektes und eines unveröffentlichten Romanvorhabens liefern neben unbekannten Gedichten, Briefen, Notizen, Berichten ein eindrucksvolles Bild eines Autors, der wie viele andere seiner Generation auf existenzielle Weise in die Zeitläufte des 20. Jahrhunderts geriet und seinen eigenen Weg fand.

 

Verlagsinformationen

Podcast in der Reihe Hessen schafft Wissen: Durchs Schreiben überleben - Otfried Preußens frühe Jahre 

SWR2 Kultur: Kleine Hexe, böse Zauberer - Die magische Welt des Otfried Preußler

 

Carsten Gansel / Anna Kaufmann / Manuel Maldonado Alemán / Leslie Adelson (Hg.): Geschichte(n) erinnern - Memory Boom und Störungen der Erinnerung.

Jahrbuch für Internationale Germanistik. Wege der Germanistik in transkultureller Perspektive. Akten des XI. Kongresses der IVG. Bd. 2

Bern: Peter Lang 2022

 

Verlagsinformationen

 

Carsten Gansel / Michael Meyen / Daria Gordeeva (Hg.): #allesdichtmachen. 53 Videos und eine gestörte Gesellschaft

Berlin: OVALmedia 2022

 

 

Carsten Gansel / Janine Ludwig (Hg.): 1968 - Ost - West- Deutsch -deutsche Kultur - Geschichten. Berlin: OKAPI Wissenschaft 2021.

(= Edition Gegenwart - Beiträge zur neuesten deutschsprachigen Literatur und Kultur, Bd. 6)

 

 

Die 68er-Bewegung ist fast zu einem Mythos geworden, wobei sie in der öffentlichen Wahrnehmung bisweilen auf politische Schlagworte verengt wird. Demgegenüber versucht der vorliegende Band den Blick in verschiedene Richtungen zu lenken: Zunächst wird „1968“ in Zeiten des Kalten Krieges als Doppelphänomen in der Bundesrepublik wie der DDR mit den Epizentren Berlin/West, Berlin/Ost und Prag verortet. Zudem wird „1968“ als eine internationale Bewegung erfasst, als Jugendrevolte und Generationenphänomen wie auch als kulturelles und literarisches Phänomen. Während sich die Studentenbewegung und der „Prager Frühling“ auf den ersten Blick unabhängig voneinander entwickelten, gibt es doch unter der Oberfläche Zusammenhänge und gegenseitige Wahrnehmungen zu entdecken und eine geostrategische Situierung von den USA bis zur Sowjetunion anzureißen. Insofern nutzen die Beiträge literatur- und kulturwissenschaftliche Zugänge, sie folgen einem weiten Literaturbegriff und suchen die Verschränkungen von Kunst und Politik einsehbar zu machen. Der Band wird abgerundet durch Gespräche mit Zeitzeugen zum „Phänomen 1968“.

 

Verlagsinformationen

 

Carsten Gansel / Katrin Lehnen / Vadim Oswalt (Hg.): Schreiben, Text, Autorschaft I. Zur Inszenierung und Reflexion von Schreibprozessen in medialen Kontexten. Göttingen: V&R 2021.

 

 

Neben eng auf die literarische Produktion bezogenen Fragen gewinnt Schreiben als Reflexionsmedium auch in anderen Konstel- lationen Bedeutung. In Selbstzeugnissen, Autobiografien, Tagebüchern und Briefen geben Schreibende Einblick in Alltagsbe- gebenheiten und Erfahrungen, Empfindungen und Gedanken und machen das Schreiben zum Gegenstand der Dokumentation, epistemischen Erkundung, (Selbst-)Reflexion und auch der psychischen Entlastung. Außerhalb dieser auf Authentizität gerichte- ten Formen der Auseinandersetzung mit dem Schreiben ist die literarische Produktion häufig selbst Gegenstand von Roman-, Film- und Serienhandlungen, u. a. in der Inszenierung spezifischer Schreibsituationen, -rituale und -orte wie auch unterschiedli- cher Formen der Schreibblockade und -störung. Die Beiträgerinnen und Beiträger diskutieren die kognitive, historische und ge- sellschaftliche Bedeutung des Schreibens und fragen aus interdisziplinärer Perspektive nach den besonderen Arrangements und Inszenierungen von Schreiben, Text/Werk und Autorschaft.

 

Verlagsinformationen

Carsten Gansel / Katrin Lehnen / Vadim Oswalt (Hg.): Schreiben, Text, Autorschaft II. Zur Narration und Störung von Lebens- und Schreibprozessen. Göttingen: V&R 2021.

 

 

Verlagsinformationen

 

 

Hans Fallada: Warnung vor Büchern. Erzählungen und Berichte. Hrsg. von Carsten Gansel. Stuttgart: Reclam 2021.

 

 

Neues von Hans Fallada entdecken: Die hier versammelten Anekdoten, Berichte, Erzählungen und Reden, die von der Mitte der 1920er Jahre bis zu seinem Tod 1947 reichen, sind zum Teil wenig bekannt oder noch gänzlich unveröffentlicht. Sie offenbaren, in welchem Maße der Autor ein einzigartiges Gespür für soziale Problemlagen entwickelt, sensibel Wirklichkeit beobachtet und künstlerische Mittel findet, um mit wenigen Strichen welthaltige Geschichten zu entwerfen – humorig, ironisch, manchmal auch sarkastisch. Falladas Glaube an die »Anständigkeit des Menschen« zeigt sich dabei jedoch stets unerschütterlich.

Podcast in WDR Zeitzeichen

Verlagsinformationen

 

Carsten Gansel / Peter Braun (Hrsg.): Dokumentarisches Erzählen - Erzählen mit Dokumenten in Literatur, Journalismus und Film. Berlin: OKAPI Wissenschaft 2021 (= Edition Gegenwart - Beiträge zur neuesten deutschsprachigen Literatur und Kultur, Bd. 5).

 

 

Die Beiträge des Bandes entwickeln einen Begriff des „dokumenta­ri­schen Erzählens“, der auf einem literarischen Umgang mit Do­ku­men­ten beruht. Dabei geraten ganz unterschiedliche Dokumente in den Blick: Tagebücher, historische Quellen, Protokolle, Interviews und andere journalistische Formen. Zugleich erstrecken sich die Bei­träge über das gesamte 20. Jahrhundert bis in die Gegenwart. Sie unter­suchen verschiedene historische Phasen des dokumentarischen Erzählens, die jeweils andere Schwerpunkte setzen und mithin sein Potential jeweils anders ausschöpfen.
Die „Neue Sachlichkeit“ zeichnet sich durch eine neue Aufmerksamkeit für soziale Fragen aus und wertet die journalistischen Formen gegen den hohen Ton der bürgerlichen Literatur auf. Zugleich erschließt sie sich den Journalismus als Sujet und den Reporter als bewegliche literarische Figur. Eine andere Rolle spielen Dokumente in Texten der Nachkriegszeit, die das Grauen des Zweiten Weltkrieges, der Gefangenenlager oder Ghettos zu erfassen suchen. Die Dokumentar- und Protokollliteratur der 1960er und 1970er Jahre in der Bundesrepublik verfolgt wiederum das Ziel, „den Unterdrückten eine Stimme zu geben“ und verdrängte Aspekte der Geschichte zu thematisieren. In der DDR-Literatur geht es zu derselben Zeit vielmehr darum, Bereiche authentisch zu erschließen, die bis dahin am Rande der literarischen Darstellung gestanden sind. Die „neue Dokumentarliteratur“ seit den 1990er Jahren schließlich ist bestrebt, in einer digitalisierten Welt, vielfältigen Formen des Infotainments und einer zügellosen Praxis der Selbstdokumentation ein reflexives Wissen sowohl über Dokumente und das Dokumentarische als auch über das Erzählen zu gewinnen.

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Werner Lindemann: BEICHTE. Ein Lebensbericht. Hrsg. von Carsten Gansel. Berlin: OKAPI 2020.

 

 

Werner Lindemann wuchs im Gutsdorf Altjeßnitz bei Wolfen auf und musste noch als Siebzehnjähriger im Zweiten Weltkrieg kämpfen. Diese Erfahrung hat ihn ein Leben lang geprägt. Der hier herausgegebene Text hat sich im Nachlass des Autors wiedergefunden und wird erstmals publiziert. Die autobiographisch grundierte Geschichte führt in die letzten Tage des Zweiten Weltkrieges und die ersten Monate des Friedens zurück. Immer wieder durchbrochen durch Erinnerungen an Kindheit, Jugend und die Schrecknisse des Krieges werden sodann die Zeiten des Neuanfangs nach 1945 erfasst. Dieser Teil der Geschichte zeichnet den Weg des jungen Will bis zum Studium nach. Das Buch wird ergänzt durch ein umfangreiches Gespräch mit Gitta Lindemann.

Werner Lindemann (1926–1993) gehörte in der DDR zu den renommierten Kinderbuchautoren, der vor allem durch seine Lyrik für Kinder einen großen Leser- und Fankreis erreichte. In den 1980er Jahren entstanden auch Prosabände, darunter die Geschichtensammlung »Aus dem Drispether Bauernhaus« (1981) und »Die Roggenmuhme« (1986). 1988 erschien sein Buch »Mike Oldfield im Schaukelstuhl«, das im Untertitel »Notizen eines Vaters« heißt. Hier geht es um das mehrmonatige Zusammenleben eines Ich-Erzählers mit seinem neunzehnjährigen Sohn. Einzigartig subtil werden die Momente von Distanz und Nähe zwischen beiden erfasst.

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Carsten Gansel (Hrsg.): Deutschland - Russland. Topographien einer literarischen Beziehungsgeschichte. Berlin: Verbrecher 2020.

 

 

Deutschland und Russland verbindet eine komplexe Beziehungsgeschichte, die sich insbesondere in ihrer literarisch-künstlerischen Ambiguität zeigt. Betrachtet man die letzten 100 Jahre, dann betrifft dies auf der politisch-kulturellen Ebene Entwicklungen, die ein erhöhtes Störungspotential markieren und die von der Oktoberrevolution 1917 über den Hitler-Stalin-Pakt bis zur national sozialistischen Vernichtungspolitik reichen, sodann die Blockbildung nach dem II. Weltkrieg, die Teilung Deutschlands und die Veränderungen seit 1989/1990. Vor diesem Hintergrund gibt es vielfältige kulturelle wie literarische Äußerungsformen sowohl in der deutschen, aber auch in der sowjetischen bzw. russischen Literatur und Kultur. Von daher ist mit dem Zeitraum ab 1917 ein umfangreiches Bezugssystem aufgerufen, das keineswegs nur literatur- und kulturwissenschaftliche Fragen betrifft, sondern weltpolitische Dimensionen umfasst. Der Band sucht am Beispiel ausgewählter Ereignisse und Perioden unter die »äußere Kruste des Gewesenen« zu kommen, den »unterschiedlichen« zu ermöglichen, Gründe für verschiedene Auffassungen von Welt zu erfassen und Toleranz gegenüber anderen Sichtweisen zu motivieren. Die Beiträge des Bandes führen zurück in die Anfangsphase der Sowjetunion. In der Folge geraten die Entwicklungen in den 1920er und -30er Jahren mit Stalins Politik ebenso in den Blick, wie die entscheidende Zäsur, die mit dem deutschen Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion ab 1941 gesetzt wurde. In diesem Rahmen spielen Exil, Deportation und Kriegsgefangenschaft eine Rolle. Nach 1945 folgten die Teilung Deutschlands und die Gründung der beiden deutschen Staaten, die – hier wie da – unterschiedliche Sichten motivierten. Schließlich wird gezeigt, in welcher Weise die deutschsprachige Gegenwartsliteratur maßgeblich auch durch eine junge »Generation« deutsch-russischer Autor*innen mitgeprägt wird.

Der Band wird durch Stimmen von fünf Zeitzeuginnen und Zeitzeugen – Anton Hiersche, Gusel Jachina, Joochen Laabs, Irina Liebmann und Waltraut Schälike –, die Vergangenheit und Gegenwart in den Blick bekommen, abgerundet.

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Carsten Gansel / José Fernández Pérez / Mike Porath (Hrsg.): Literatur-, Medien- und Sprachdidaktik im universitären DaF-Unterricht auf Kuba. Berlin: OKAPI Wissenschaft 2020 (= Edition Gegenwart - Beiträge zur neuesten deutschsprachigen Literatur und Kultur, Bd. 4).

 

 

Der Band versammelt sowohl wissenschaftliche Beiträge und literarische Kurztexte, die im Rahmen der Germanistischen Institutspartnerschaft (GIP) zwischen den Universitäten Gießen und Havanna/Kuba im Zeitraum von 2009 bis 2020 entstanden sind, als auch darauf aufbauend Kurzerzählungen und Autorengespräche zu der die GIP bestimmenden Thematik von Erinnerung und Adoleszenz. Die Auswahl der Aufsätze und Texte spiegelt dabei die im Mittelpunkt stehende Lehre, mithin die Arbeit mit den kubanischen Deutschstudentinnen und -studenten wider, bei der es im Rahmen des Unterrichts Deutsch als Fremdsprache (DaF) vor allem um Entwicklungen in der deutschsprachigen Literatur nach 1989 bis zur Gegenwart und ihre literatur- und sprachdidaktische Vermittlung geht. Der Band verbindet die Darstellungen zu ausgewählten deutschsprachigen Kanon- und Adoleszenztexten mit den Ergebnissen literarischer Didaktisierung in Kuba und anhand von exemplarischen Texten mit den grundlegendsten Aspekten des gegenwärtigen Erinnerungs- und Adoleszenzdiskurses.

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Gerhard Sawatzky: Wir selbst. Herausgegeben, mit einem Nachwort und dokumentarischen Material zur deutschen Wolgarepublik und ihrer Literatur versehen von Carsten Gansel. Berlin: Galiani 2020.

 

 

Ein untergegangenes Stück deutscher Geschichte erstmals als Buch: Der von Stalin verbotene große Roman über die Russlanddeutschen, das Epos der autonomen deutschen Wolgarepublik (1918-1941) - "Wir selbst", das für Jahrzehnte verschollene Lebenswerk von Gerhard Sawatzky (1901-1944).

 

Gerhard Sawatzkys großer Gesellschaftsroman "Wir selbst" erzählt von einer untergegangenen Welt, nämlich der Autonomen Sozialistischen Sowjetrepublik der Wolgadeutschen. Diese wurde 1918 - u. a. auf Betreiben Ernst Reuters - gegründet, bis zu ihrem Ende 1941 ein höchst wechselvolles Schicksal erfuhr. Sein Autor, Gerhard Sawatzky,  der als wichtigster Literat der Wolgadeutschen galt, wurde verhaftet, zu Zwangsarbeit verurteilt und starb in einem Lager in Sibirien, das Buch wurde verboten und vernichtet. Doch Sawatzkys Witwe gelang es, bei der Deportation nach Sibirien unter dramatischen Umständen das Urmanuskript zu retten. In einer deutschsprachigen Zeitschrift in der Sowjetunion wurden - allerdings bearbeitet und zensiert - in den achtziger Jahren Teile des Buches abgedruckt. Carsten Gansel hat nun das Urmanuskript in Russland aufgespürt. "Wir selbst" erzählt in häufigen Szenenwechseln zwischen Land und Stadt aus der Zeit zwischen 1920 bis 1937 vor allem von einem jungen Liebespaar, Elly Kraus, der Tochter einer wohlhabenden Fabrikantenfamilie, die als Kind auf der Flucht vor der Roten Armee allein in Russland zurückblieb, und von Heinrich Kempel, dessen Kindheit auf dem Land während des Krieges von Hunger und Entbehrung geprägt ist, und der schließlich Ingenieur wird. Auch wenn Sawatzky schon beim Schreiben die Angst vor stalinistischen Säuberungsaktionen im Nacken saß und er manches unterschlug bzw. beschönigte - sein Buch ist ein höchst bedeutendes Zeitzeugnis, das zudem durch Carsten Gansels umfangreiches Nachwort über Sawatzky, die Geschichte des Manuskripts und die deutsche Wolgarepublik ergänzt und erschlossen wird.

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Interview zum Roman mit dem Portal für russlanddeutsche Literatur und Literaturgeschichte

Podcast zu "Wir selbst" - Carsten Gansel im Gespräch mit Katrin Matern

 

Carsten Gansel (Hrsg.): Trauma-Erfahrungen und Störungen des 'Selbst'. Mediale und literarische Konfigurationen lebensweltlicher Krisen. Berlin/Boston: de Gruyter 2020 (= Untersuchungen zur deutschen Literaturgeschichte, Bd. 159).

 

 


Im Zentrum des Bandes stehen Fragen nach der medialen, literarischen, künstlerischen Konfiguration von lebensweltlichen Störungen. Es geht mithin um die Rolle der Künste bei der 'Verarbeitung' von existentiellen Krisensituationen und fundamentalen gesellschaftlichen Zäsuren. In diesem Rahmen erfolgt eine Konzentration auf Texte, in denen Traumata eine Rolle spielen bzw. in denen es um die Auseinandersetzung mit traumatischen Erlebnissen geht. Es sind dies Texte, die sich mit den Auswirkungen von gesellschaftlichen Krisen (Krieg, Holocaust, Bombenkrieg, Flucht und Vertreibung) auf Individuen beschäftigen. Darüber hinaus kommen alters-, geschlechts- oder familienbezogene Traumata (Tod, Krankheit, Vergewaltigung, Missbrauch) ebenso zur Sprache wie die vielfältigen Formen, die von schuldhaftem Tun (persönliches Versagen, Denunziation, Verrat) 'erzählen'. In diesem Rahmen wird an aktuelle Arbeiten aus der Psychotraumatologie angeknüpft.

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Carsten Gansel / Norman Ächtler / Bettina Kümmerling-Meibauer (Hrsg.): Erzählen über Kindheit und Jugend in der Gegenwartsliteratur. Berlin: OKAPI Wissenschaft 2019 (= Edition Gegenwart - Beiträge zur neuesten deutschsprachigen Literatur und Kultur, Bd. 3).

 

 


Der Band befasst sich mit Fragen des Erinnerns und Erzählens von Kindheit und Jugend in der deutschen und europäischen Gegenwartsliteratur. Die hier versammelten Beiträge aus unterschiedlichen Fachdisziplinen bieten ein umfassendes Bild von den historisch-kulturellen, politisch-sozialen und kognitiven Prozessen, die auf die Vorstellungen von Kindheit und Jugend in unterschiedlichen europäischen Gesellschafts- und Literatursystemen seit 1989 eingewirkt haben. In Darstellungen zu ausgewählten Texten aus Allgemeinliteratur wie Kinder- und Jugendliteratur im interdisziplinären Kontext verknüpft der Band sein Thema mit aktuellen Schwerpunkten kulturwissenschaftlicher Forschung.

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Carsten Gansel / Manuel Maldonado Alemán (Hrsg.): Realistisches Erzählen als Diagnose von Gesellschaft. Berlin: OKAPI Wissenschaft 2018 (= Edition Gegenwart - Beiträge zur neuesten deutschsprachigen Literatur und Kultur, Bd. 2).

 


Die Beiträge des Bandes zielen auf Aspekte realistischen Erzählens in der deutschsprachigen Literatur insbesondere nach 1945 und nach 1989. Dabei geht es zunächst um theoretische Probleme des Realismus in der Literatur der Gegenwart.

Nach einem Blick auf den realistischen Ansatz in Hans Falladas erstmals in der Urfassung vorliegendem Roman der Neuen Sachlichkeit, "Kleiner Mann - was nun?", stehen ausgewählte Autoren und Texte der westdeutschen Literatur der Nachkriegszeit im Umfeld der Gruppe 47 im Zentrum (u. a. Alfred Andersch, Hans Werner Richter, Günter Eich, Milo Dor). Mit dem Autor Siegfried Pitschmann geht es um einen exemplarischen Fall der Auseinandersetzung um den sozialistischen Realismus in der DDR. Die nachfolgenden Beiträge setzen sich mit Spielarten realistischen Erzählens in der Gegenwartsliteratur nach 1989 auseinander und fragen nach dem zeitdiagnostischen Potential von Texten ausgewählter Gegenwartsautorinnen und -autoren (Martin Mosebach, Erich Hackl, Matthias Politycki, Daniel Kehlmann, Kathrin Schhmidt, Artur Becker, Uwe Kolbe, Christoph Hein, Julia Schöch).

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Carsten Gansel (Hrsg.): Literatur der Russlanddeutschen und Erinnerung. Berlin: OKAPI Wissenschaft 2018 (= Edition Gegenwart - Beiträge zur neuesten deutschsprachigen Literatur und Kultur, Bd. 1).

 

 


Die Beiträge dieses Bandes wenden sich einem in der literatur- und kulturwissenschaftlichen Forschung bislang zu wenig beachteten Gegenstand zu: der Literatur von Sowjetdeutschen - so die übliche Bezeichnung bis zur Auflösung der Sowjetunion 1991 - bzw. der Russlanddeutschen. Im Zentrum steht somit ein Kapitel der deutsch-russischen Kulturgeschichte des 20. Jahrhunderts, das "selbst in groben Zügen den wenigsten bekannt ist" (Eleonora Hummel).

Bis zum Zerfall der Sowjetunion waren einer Auseinandersetzung mit dem Schicksal der Sowjetdeutschen auch in literarischen Texten enge Grenzen gesetzt. Die Aufsätze zielen daher neben Überblicksdarstellungen auf eine dezidierte Analyse ausgewählter Texte, sie fragen nach der Rolle, die die Sprache für die Identität der Russlanddeutschen besitzt und beschäftigen sich mit Aspekten des kollektiven Gedächtnisses. Schließlich gibt es Einblicke in die Autorenwerkstatt (Hugo Wormsbecher, Nelly Däs). Ein zweiter Band wird sich explizit mit den Entwicklungen nach 1990 auseinandersetzen.

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Carsten Gansel / Burkhard Meyer-Sickendiek (Hrsg.): Stile der Popliteratur. Versuch einer intermedialen Differenzierung. München: edition text+kritik 2018 (= neoAVANTGARDEN, Bd. 8).

 


Popmusik wird unterschieden in Genres wie z. B. Rock, Punk, Soul, Elektro, Hardrock, Jazz oder Hip-Hop. Doch mit dem Begriff Popliteratur ist alles gesagt. Oder könnte man versuchen, über Popliteratur zu sprechen, wie man es über Popmusik längst tut?

Wenn man Forschungsdiskussionen zur Popliteratur mit denjenigen zur Popmusik vergleicht, dann fällt auf, dass für die fiktionalen Texte eine präzise Klassifizierung in Subgattungen wie Pop, Punk, Jazz oder Hip-Hop fehlt. Popmusik hingegen lässt sich auf Grund spezifischer Soundpatterns und Rhythmen in solche Genres unterteilen. Vor diesem Hintergrund untersucht der neoAVANTGARDEN-Band 8, wie sich der Import musikalischer Stilrichtungen auf die Schreibverfahren jener Texte auswirkte, die als Popliteratur diese verschiedenen Musikrichtungen zum Gegenstand haben. Wie lassen sich musikalische Form und literarische Form theoretisch und vor allem analytisch verbinden? Welche Kategorien sind zu entwickeln, um der Beantwortung dieser Frage nicht nur auf inhaltlicher, sondern auch auf formaler Ebene näherzukommen? Auf diese Weise unternimmt der Band den Versuch, erste Bausteine einer für Popliteratur wichtigen Theorie der Intermedialität zu entwickeln. Mit Beiträgen zu Autoren wie Rolf Dieter Brinkmann, Rainald Goetz, Benjamin von Stuckrad-Barre und Wolfgang Herrndorf.

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Brigitte Reimann / Wolfgang Schreyer: Ich möchte so gern ein Held sein. Der Briefwechsel. Hrsg. von Carsten Gansel und Kristina Stella. Berlin: OKAPI 2018.

 


"Carpe diem, intensiv leben, das muß ihr Wahlspruch sein. Weltoffen wirkt sie, schnell begeistert, risikofreudig; lebhaft und farbig will sie's gern haben (...) Don't fence me in! Man spürt, wie leicht sie dem Reiz des Neuen, der Freude am Wagnis erliegt. Ihr Hunger macht sie verletzlich, verführbar." So erinnert sich Wolfgang Schreyer fast 40 Jahre später an Brigitte Reimann. Als sie sich Mitte der 1950er Jahre kennenlernen, ist der sechs Jahre Ältere bereits literarisch erfolgreich. Fast über 20 Jahre, bis zum frühen Tod Brigitte Reimanns, führen beide einen intensiven, offenen und höchst persönlichen Briefwechsel. Diese Briefe sind daher nicht nur spannendes Zeitzeugnis, sondern ein ebenso anrührendes wie kurzweiliges Portrait zweier Künstlerpersönlichkeiten, die auch als Menschen beeindrucken.

"Wenigstens hat sie, also die Kunst, zumal die Literatur, immer etwas Aufsässiges, sie muß hinter die Erscheinungen sehen, an der Oberfläche kratzen und bloßlegen, was darunter ist, kurzum: Heilige Kühe schlachten." Brigitte Reimann an Wolfgang Schreyer 1967

"Wirkung ist immer da, wo Talent, Wissen und Charakter vereint sind. Also, schreib Dein Buch zuende!" Wolfgang Schreyer an Brigitte Reimann 1969

Der intensive Briefwechsel zweier so unterschiedlicher wie solidarischer Autoren, die vor dem Hintergrund krisenhafter Prozesse in Ost und West mit großer Zivilcourage zu ihren Positionen stehen. Sie verhandeln Fragen des literarischen Schaffens wie die Entwicklungen in Politik und Kultur und finden doch immer auch Zeit für die allerpersönlichsten Dinge.

Brigitte Reimann (1933-1973), deren Roman "Franziska Linkerhand" unvollendet blieb, erfuhr nach dessen postumer Veröffentlichung in Ost wie West eine begeisterte Rezeption. Ihre Tagebücher bezeichnete Marcel Reich-Ranicki als "eigenständigen Roman und das vielleicht wichtigste Stück DDR-Literatur überhaupt".

Wolfgang Schreyer (1927-2017) gehörte zu den erfolgreichsten Autoren der DDR (Gesamtauflage über 5 Mio.). Er war u. a. mit Stefan Heym befreundet, der nicht nur das erzählerische Vermögen schätzte, sondern auch die Zivilcourage und den beharrlichen Einsatz für die Schriftstellerkollegen.

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Carsten Gansel: Meinst Du, die Russen wollen ...? Ein Moskauer Tagebuch. Neubrandenburg: mecklenbook 2018.

 

 


Es wird viel gestritten über Russland. Die Nation, die Russen, Wladimir Putin werden von der Politik und den Medien im Westen in der Regel verurteilt. Oft von Menschen, die noch nie in diesem Riesenland waren. Autor Carsten Gansel kennt Russland von zahlreichen Reisen. Er gewährt Einblicke in den Alltag, in das Denken und Fühlen der Russen sowie in politische und historische Zusammenhänge, die die Grundlage für eine differenzierte Debatte bieten können.

Link zum Bericht der Premiere im "Nordkurier"

 

Carsten Gansel / Manuel Maldonado-Alemán (Hrsg.): Literarische Inszenierungen von Geschichte. Formen der Erinnerung in der deutschsprachigen Literatur nach 1945 und 1989. Stuttgart/Weimar: J. B. Metzler 2018.

 

 

Die Beitragsautoren dieses Sammelbandes gehen der Frage nach, welche Rolle das Erinnern in der deutschsprachigen Literatur nach 1945 und sodann nach dem Umbruch des Jahres 1989 spielt. Dabei werden unterschiedliche Formen der literarischen Konfiguration von Erinnerung untersucht und das Verhältnis von Fakt und Fiktion diskutiert. In den Blick geraten unterschiedliche Poetologien, Schreibweisen und Konzepte beim Umgang mit Geschichte.

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Heinrich Gerlach: Éclairs lointains. Percée à Stalingrad. Roman traduit de l'allemand par Corinna Gepner. Édition, postface et appareil critique par Carsten Gansel. Paris: 2017; Ders.: Doorbraak bij Stalingrad. Bezorg door en met een nawoord van Carsten Gansel. Amsterdam: 2017; Ders.: Breakout at Stalingrad. With an Appendix by Carsten Gansel. Translated from German by Peter Lewis. London: Apollo, an imprint of Head of Zeus Ltd 2018.

 

Uwe Johnson Preis 2016 – Jan Koneffke: "Ein Sonntagskind". Berlin: Edition Leetspeak 2017.

 

 

Im letzten Jahr wurde Jan Koneffke für seinen Roman Ein Sonntagskind mit dem Uwe-Johnson-Preis ausgezeichnet. In der Begründung der Jury heißt es: »Koneffke entwirft in seinem Roman ein deutsches Panorama, das vom Zweiten Weltkrieg über das Jahr 1989 bis in die Gegenwart führt. (...) Eng an die Perspektive der Vaterfigur gebunden, wird der Leser mit einem Geflecht von Schuld, Verdrängung, Selbstbetrug und Schweigen konfrontiert.« Nun ist in der Edition Leetspeak ein Band zur Preisverleihung erschienen, den wir Ihnen gerne ans Herz legen möchten; er enthält Carsten Gansels (Juryvorsitzender) Rede zur Eröffnung der Preisverleihung, die Laudatio auf den Preisträger von Peter Körte, Jan Koneffkes famose Dankesrede und ein Gespräch zwischen Gansel und Koneffke.

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Heinrich Gerlach: Odyssee in Rot. Bericht einer Irrfahrt. Herausgegeben, mit einem Nachwort und dokumentarischem Material versehen von Carsten Gansel. Berlin: Galiani 2017.

 

 

Heinrich Gerlachs monumentales Werk über seine Zeit in sowjetischer Kriegsgefangenschaft und den Versuch des ‚Bundes Deutscher Offiziere‘, Hitler zu stürzen 

Von den über drei Millionen Wehrmachtssoldaten, die zwischen 1941 und 1945 in sowjetische Kriegsgefangenschaft gerieten, starben mehr als eine Million. Heinrich Gerlach (Autor des in russischer Haft geschriebenen, erst kürzlich wiederentdeckten und gefeierten Romans Durchbruch bei Stalingrad) überlebte. 

Er war im Februar 1943 nach der Schlacht um Stalingrad in Kriegsgefangenschaft geraten, und war nach einiger Zeit in das Sonderlager Lunjowo gekommen, wo inzwischen von Hitler und den Nazis abgefallene kriegsgefangene Wehrmachtsoffiziere und die deutschen Exilkommunisten um Ulbricht, Pieck, Herrnstadt etc. zusammen gegen Nazideutschland paktieren sollten. Da die Offiziere aber nicht in der kommunistischen Bewegung ‚Nationalkomitee Freies Deutschland‘ mitarbeiten wollten, gründeten sie – unter der Führung des Generals von Seydlitz – eine eigene Gruppe: den Bund Deutscher Offiziere (BDO). Gerlach gehörte zu den Gründungsmitgliedern der Organisation, die sich zum Ziel gesetzt hatte, den in ihren Augen unsinnigen Krieg zu verkürzen und ihre einstigen Kameraden in der deutschen Wehrmacht zum Widerstand gegen Hitler oder zumindest zur Einstellung der Kampfhandlungen zu bewegen. Stalin hatte ihnen für den Fall des Gelingens zugesagt, sein Möglichstes zu tun, Deutschland als freies Land in den Grenzen von 1937 zu bewahren und den Fortbestand der Wehrmacht zu sichern. 

Gerlach arbeitete viel für die von Rudolf Herrnstadt geleitete Widerstandszeitung Freies Deutschland, seine Artikel ließen an Deutlichkeit und Entschlossenheit nichts zu wünschen übrig – sie beinhalteten Aussagen wie: „Hitler muss fallen, damit Deutschland lebe!“ Wann immer er dazu Zeit hatte, schrieb Gerlach im Lager an seinem Roman Durchbruch bei Stalingrad, der sein Stalingrad-Trauma und das dadurch ausgelöste Erweckungserlebnis, dass für Hitler zu kämpfen ein Irrweg sei, beschrieb. 

Freilich standen sich die früheren Wehrmachtsoffiziere und die Kommunisten mit großem Misstrauen gegenüber. Ulbricht etwa (der nach dem Krieg Staatsratsvorsitzender der DDR werden sollte) schrieb für den sowjetischen Geheimdienst einen Bericht mit einer geheimen Beurteilung zu Gerlach, die für diesen verheerende Folgen haben sollte: „Gerlach, Helmut (sic), Oberleutnant: Typischer Ic-Mann der Hitlerarmee. Talentvoll, aber unehrlich. Versucht durch Informationen an Sowjetstellen seine wirkliche Einstellung zu verdunkeln. Für Produktionsarbeit in der Sowjetunion.“ 

Daran änderte auch nichts, dass in Nazideutschland die Familien der ‚Verräter‘ des BDO in Sippenhaft kamen (so auch Gerlachs Familie), und gegen Einzelne von ihnen Prozesse vorbereitet bzw. geführt wurden (von Seydlitz wurde in Abwesenheit zum Tode verurteilt, Gerlachs Prozess kam bis Ende des Krieges über die Vorbereitungsphase nicht hinaus). 

Die Bemühungen des BDO blieben aber weitgehend erfolglos, die Alliierten zwangen Deutschland militärisch in die Knie. Die Mitglieder des BDO (und mit ihnen Gerlach) wurden für Russland wertlos, jetzt zeigte sich das wahre Gesicht der Sowjets.

Der russische Geheimdienst versuchte, die Gefangenen zu gegenseitigen Denunziationen zu bewegen und als Agenten zu werben. Wer – wie Gerlach – ablehnte, wurde in ‚richtige‘ Arbeitslager abtransportiert, eine lange Odyssee begann. Nachdem Gerlach erneut Anwerbungsversuche abgewiesen hatte, strengte man ein Verfahren wegen angeblicher Kriegsverbrechen gegen ihn an, es drohten 25 Lagerhaft. Bis zur Urteilsverkündigung blieb Gerlach standhaft, erst dann stimmte er der geheimdienstlichen Tätigkeit zu – zum Schein. Das Manuskript seines gut 600 Seiten starken Romans allerdings konfiszierte der Geheimdienst und es verschwand (bis zu seiner Wiederentdeckung und Veröffentlichung im Jahr 2016) in russischen Archiven; auch eine Miniaturabschrift, die ein Kamerad im doppelten Boden eines Koffers aus dem Land zu schmuggeln versuchte, wurde abgefangen. Im April 1950 kam Heinrich Gerlach endlich frei. 

Hier schließt die Handlung von Gerlachs ‚Bericht einer Irrfahrt‘

Carsten Gansel, der schon diesen Teil von Gerlachs Bericht mit Hilfe von Recherchematerial und Dokumenten aus russischen Archiven in seinem umfassenden Nachwort rekonstruiert, verfolgt Gerlachs Spur aber noch weiter. Auch hierzu fand er Dokumentenmaterial in zahlreichen Quellen, vor allem aber die im Deutschen Tagebucharchiv in Emmendingen gelagerten Nachkriegstagebücher Gerlachs, die hier erstmals ausgewertet werden. 

Sofort nach seiner Rückkehr nach Berlin setzt Gerlach sich in den Westteil der Stadt ab, von hier aus (er fühlt sich – wie Gansels Recherchen ergeben: zu Recht – verfolgt und bedroht) per Flugzeug in die BRD. Hier wird er aber keinesfalls hofiert oder gar als Widerstandsheld gegen Hitler empfangen – wie seine anderen alten Kameraden vom BDO ihm bald bedeuten, sind in der BRD viele der alten Eliten wieder in einflussreichen Positionen – und für sie sind deutsche Offiziere, die mit den Kommunisten paktierten, nichts anderes als Verräter. Die BDOler sind zahlreichen Anfeindung ausgesetzt; wie die Personen im Umfeld der „Roten Kapelle“ auch geraten sie in das Fadenkreuz des Bundesnachrichtendienstes und unter Verdacht der Spionage; gegen ein BDO-Mitglied, das in einem russischen Arbeitslager als Kapo fungierte, wird ein Prozess wegen „Kameradenschinderei“ angestrengt – der Angeklagte wird in erster Instanz rechtskräftig verurteilt. 

So bietet die vorliegende Edition nicht nur einen spannenden Beitrag zum Schicksal Heinrich Gerlachs im Besonderen und dem deutscher Kriegsgefangener im Allgemeinen – sie rollt auch ein bislang kaum beachtetes Kapitel der Widerstandes gegen die Hitlerdiktatur auf und unterzieht die deutsche Erinnerungskultur an den Zweiten Weltkrieg insgesamt einer ebenso fundierten wie kritischen Bewertung.

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Carsten Gansel/ Norman Ächtler/ Birka Siwczyk (Hrsg.): Gotthold Ephraim Lessing im Kulturraum Schule - Aspekte der Wirkungsgeschichte im 19. Jahrhundert. Göttingen: V&R unipress 2017.

Gotthold Ephraim Lessing und sein Werk gehören seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zum Kanon der deutschsprachigen Literatur. Eine herausragende Rolle bei der Inthronisierung des Autors im literarischen Kanon und damit im kulturellen Gedächtnis haben die höheren Lehranstalten gespielt. Auch aufgrund der problematischen Quellenlage wurde der Rezeption und Vermittlung von Literatur im schulischen Kontext bislang aber nur geringe Aufmerksamkeit geschenkt. Auf der Grundlage von bislang nur schwer zugänglichen schulspezifischen Textsorten wie Schulprogrammen befasst der Band sich nun erstmals in vergleichender Perspektive mit unterschiedlichen Aspekten der Behandlung von G. E. Lessing im Deutschunterricht der Höheren Lehranstalten.

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Hans Fallada: Kleiner Mann - was nun? Originalfassung. Mit einem Nachwort von Carsten Gansel. Berlin: Aufbau 2016.

 

Der Weltbestseller erstmals so, wie Fallada ihn schrieb. 
 
Zu brisant, um so gedruckt zu werden: Von der Urfassung des Romans, der Hans Fallada am Vorabend der Machtergreifung der Nazis zum international gefeierten Erfolgsautor machte, wurde ein Viertel noch nie veröffentlicht. 

Der Verkäufer Johannes Pinneberg und seine Freundin Lämmchen erwarten ein Kind. Kurz entschlossen heiratet das Paar, auch wenn das Geld immer knapper wird. Trotz Weltwirtschaftskrise und erstarkender Nazis nimmt Lämmchen beherzt das Leben ihres verzweifelnden Mannes in die Hand. In dieser rekonstruierten Urfassung führt ihr gemeinsamer Weg noch tiefer ins zeitgenössische Berlin, ins Nachtleben und in die von den „Roaring Twenties“ geprägten Subkulturen. Die politischen Probleme der damaligen Zeit werden so plastisch wie in wenigen anderen Texten. 

Jetzt mit Charlie Chaplin, Robinson Crusoe, Goethe, Wilhelm Busch und dem Prinzen von Wales.

"Man hat das große Glück, ein Buch, das man glaubte schon zu kennen, noch mal lesen zu können, als wäre es neu.“ Volker Weidermann, Literarisches Quartett --

 

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Heinrich Gerlach: Durchbruch bei Stalingrad. Hrsg. von Carsten Gansel. Berlin: Galiani 2016.

Die 1949 vom russischen Geheimdienst konfiszierte und nun in russischen Archiven wiederaufgespürte Urfassung des großen Antikriegsromans. Gefunden, herausgegeben und mit einem dokumentarischen Anhang versehen von Carsten Gansel. Ein Buch, zurück aus 70 Jahren Kriegsgefangenschaft.

Heinrich Gerlachs großer Antikriegsroman: Direkt nach der Schlacht um Stalingrad im sowjetischen Kriegsgefangenenlager geschrieben, durch verschiedene Arbeitslager gerettet, aber letztendlich vom russischen Geheimdienst konfisziert – jetzt nach fast 70 Jahren erstmals veröffentlicht.

Dieses Buch hat eine der außergewöhnlichsten Publikationsgeschichten seit je: Heinrich Gerlach, als deutscher Offizier in der Schlacht um Stalingrad schwer verwundet, begann in sowjetischer Gefangenschaft einen Roman zu schreiben, der das Grauen von Stalingrad, die Sinnlosigkeit des Krieges, vor allem aber die seelische Wandlung eines deutschen Soldaten unter dem Eindruck des Erlebten ungeschminkt darstellen sollte. Zudem war er im Herbst 1943 Gründungsmitglied des Bunds Deutscher Offiziere, der aus der Kriegsgefangenschaft heraus zur Beendigung des sinnlosen Kampfes aufrief.
Gerlach rettete sein Manuskript durch viele Arbeitslager. 1949 aber entdeckte und beschlagnahmte der russische Geheimdienst den 600 Seiten starken Roman. Erst im Frühjahr 1950 war Gerlach wieder zurück in Deutschland – ohne den Roman. Sämtliche Versuche, ihn aus dem Gedächtnis zu rekonstruieren, scheiterten – bis Gerlach auf eine ungewöhnliche Idee kam. Unter Hypnose konnte er Teile des Buches wieder erinnern. 1957, mehr als ein Jahrzehnt nach seiner Gefangennahme, erschien das Buch unter dem Titel Die verratene Armee – und wurde zum Millionenseller.

Carsten Gansel ist nun in Moskauer Archiven ein sensationeller Fund gelungen: das von der Veröffentlichung stark abweichende Originalmanuskript von Gerlachs Durchbruch bei Stalingrad. Vom Herausgeber mit einem reichen dokumentarischen Anhang versehen, liegt es nach 70 Jahren hiermit zum ersten Mal gedruckt vor.

Link zum Hintergrundbericht Spiegel Online

Podcast in der Reihe "Hessen schafft Wissen" / Literaturwissenschaft: Die Geschichte hinter der Geschichte.