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Erfahrungsbericht Montpellier SS2011

 von Hendryk Czyganowski


Gasthochschule: ESC Ecole Supérieure de Commerce de Montpellier
Zeitraum : Sommersemester 2011

Ich habe meinen Auslandsaufenthalt im SS 2011 an der Sup de Co (Ècole Superieur de Commerce) in Montpellier verbracht. Bei dieser Grande École handelt es sich um eine Hochschule mit privater Trägerschaft, die sich selbst verwaltet. Diese Grande École ist ausschließlich auf das Fach Betriebswirtschaftslehre spezialisiert.


Die Stadt Montpellier und öffentliches Leben

Die Stadt Montpellier ist die Hauptstadt der südfranzösischen „Région Languedoc-Roussillon“, hat ca. 250.000 Einwohner und ist eine der am schnellsten wachsenden Städte in Frankreich, was man sehr gut an den zahlreichen Baustellen sehen kann, die das Stadtbild entscheidend mitprägen.

Die Stadt kann einige sehr imposante Bauwerke des Klassizismus vorweisen und ist sehr weitläufig. Dreh- und Angelpunkt des öffentlichen Lebens ist der Place de la Comédie. Der zentral gelegene Platz bietet Ambiente für Anspruchsvolle und steht nie still, da immer Veranstaltungen oder Animateure für Stimmung sorgen. Der Anteil der Migranten aus den ehemaligen Kolonien Nordafrikas (Algerien, Marokko, Tunesien) ist sehr hoch, worunter auch das typisch französische Flair etwas verloren geht.

Das öffentliche Leben spielt sich (trotz des chaotischen Verkehrs) etwas langsamer ab, als bei uns in Deutschland. Trotz der hohen Migrantendichte hatte ich überhaupt keine Probleme zwischenmenschlicher Natur. Die Behörden waren immer sehr freundlich und zuvorkommend. Ich habe den starken Dialekt im Süden nie so wahrgenommen, wie man sagt. Zu meiner Überraschung gibt es hier ein recht ansehnliches Maß an deutschen Touristen und Austauschstudenten.

 

Die Gasthochschule

Die Sup de Co ist sehr weltoffen und versucht die Austauschstudenten so gut wie möglich zu integrieren. Ich habe mit den französischen Studenten exzellente Erfahrungen gemacht und mich hervorragend mit ihnen verstanden. Leider herrscht an dieser Hochschule strikte Anwesenheitspflicht und fehlt man mehr als ein einziges Mal unentschuldigt, so ist man für die regulären Prüfungen zwar zugelassen, die Ergebnisse werden aber nicht gewertet. Man muss aber an den regulären Prüfungen
teilnehmen, um sich für die Teilnahme an den Wiederholungsprüfungen zu qualifizieren. Die Note setzt sich aus drei Teilen zusammen: 25% Anwesenheit und Mitarbeit, 25% DPAS (Hausaufgaben bzw. angeleitete Arbeiten im Unterricht) und 50% die Klausur.

Ich war im französischen Programm eingeschrieben. Die Dozenten nehmen keinerlei Rücksicht auf Erasmusstudenten. Ich habe den Erasmusbonus, den man angeblich als Austauschstudent haben soll, nicht erfahren und weiß davon nichts zu berichten, da die Dozenten alle Studenten völlig gleich behandeln und so schnell dozieren wie für Muttersprachler.

Die Anwesenheitspflicht, die kleinen Klassen von 30 Studenten und die angeleiteten Arbeiten und Hausaufgaben erinnern viel mehr an die Schulzeit als an ein Studium an einer Universität, wo es auf Selbstständigkeit, Disziplin und Generierung von Lösungen zu Problemen durch Anwendung von Transferwissen ankommt, da man es hier mit erwachsenen Menschen zu tun hat, die nicht wie kleine Schulkinder gegängelt zu werden brauchen.

Das Niveau des Stoffes ist unter dem in Deutschland. Auch wechselt der Stundenplan regelmäßig von Woche zu Woche und ein Fach wird nur einige Wochen gelesen, worunter die Tiefe des Stoffes und Informationsdichte leidet. Man hat hier pro Semester nicht 5 Fächer die mit à 6CP (Leistungspunkten) gewichtet werden, sondern fast 10 Fächer, die unterschiedlich stark gewichtet (2 – 3 CP) sind. Die Fächer unterscheiden sich im Wesen extrem stark von dem in Deutschland, da viele Fächer nur wenig mit BWL zu tun haben und eher den Charakter einer Soft-Skill-Veranstaltung bzw. AfK-Veranstaltung haben (wie beispielsweise: Négotiation = Verhandlungsführung, Culture Ethique = Ethik, Géographie Économique = ökonom. Geographie ähnlich dem Fach Wirtschaftspolitik nur ohne jegliche Mathematik) - soviel zur Vergleichbarkeit der Abschlüsse und dem Ziel der Bologna-Reform. Die Fächerstruktur des Studiums und die Bewertung der Fächer mit ECTS ist anders, als bei uns in Deutschland. Ich habe, bis auf Finance, nicht ein einziges mathematisches Fach gehabt!

Die einzigen Fächer, die mir sinnvoll erschienen, waren: Finance = Finanzierung (und im SS das anspruchsvollste Fach!), Comptabilités des Sociétes = Buchführung und Marketing International = Marketing. Keines dieser Fächer war mit mehr als 3CP gewichtet und der Stoff bei weitem nicht so umfangreich und informativ wie in Deutschland. Zur Hochschullandschaft in Frankreich sind noch einige interessante Punkte anzumerken:
Es gibt Universitäten, Grand Écoles und normale Écoles. Das Studium an den Universitäten ist völlig kostenlos und sehr anspruchsvoll. Man setzt hier in Frankreich an den Universitäten stark auf Eigeninitiative und eigenständiges Lernen. Anwesenheitspflicht besteht an den Unis nicht. Die Grande Écoles sind private Hochschulen mit besseren Kontakten zu Unternehmen in der Wirtschaft als die Universitäten. Da die Unis ziemlich gut besucht sind und die Absolventen nicht so schnell und leicht in die Unternehmen vermittelt werden, wählen viele Franzosen den Weg zum Arbeitgeber über die sehr teuren Grand Écoles, die prestigemäßig kurioserweise weit vor den Unis rangieren.

Die Sup de Co bietet englische und französische Programme an. In die englischen Programme werden meist Studenten eingeschrieben, die einen Doppelabschluss machen (Doppelbachelor). Wenn es um den Erwerb von CPs geht, wird man meistens in das französische Programm eingeschrieben. Das englische Programm ist einfacher als das französische.


Unterkunft/Wohnungsproblematik

Montpellier ist bekannt für seine Wohnungsproblematik. Wohnungen sind hier Mangelware und man sollte sich früh auf die Suche nach einer Wohnung begeben. Wenn man eine Wohnung gefunden hat, sollte man sich nicht über die spartanische Einrichtung/Ausstattung und den astronomischen Mietpreis wundern. Der Mietspiegel liegt hier bei ca. 20€/m² was bei 40m² mal eben locker zu einer Miete von 800€/Monat führen kann. Dafür darf man keineswegs ein Appartement mit gehobener Ausstattung erwarten. Es gibt die Möglichkeit beim Amt (Caisse Allocation Familiale) Wohngeld zu beantragen (CAF). Der Höchstsatz liegt bei 170€. Der Mindestsatz beträgt 90€. Eine Wohngemeinschaft ist weit günstiger, als wenn man allein eine Wohnung bezieht. Eine gute Seite, um eine günstige WG zu finden ist zum Beispiel www.appartager.com.


Lebenshaltungskosten

Die Lebenshaltungskosten sind in Montpellier um ein Vielfaches höher als in Deutschland. Die Preise für Lebensmittel sind selbst in den günstigsten Supermärkten wie Lidl und Aldi doppelt so teuer wie in Deutschland. Will man in einem Restaurant eine Pizza genießen oder das Tagesgericht, so bezahlt man fast sogar das Dreifache als in Deutschland. Das liegt daran, dass der Monatsverdienst höher ist und daran, dass versucht wird von den Touristen die maximale Zahlungsbereitschaft abzuschöpfen. Der Mindestlohn der arbeitenden Bevölkerung in Frankreich liegt bei 1.365€/Monat. Wenn dann noch Wohngeld dazukommt liegt man im Idealfall bei 1.535€/Monat – für eine einzelne Person wohlbemerkt. Als Richtwert sollte man als Austauschstudent so um die 800€/Monat als Minimum
einplanen.


Infrastruktur/Verkehrsnetz 

Es existieren zwei Tram-Linien (Linie 1 und 2). Beide Tramstrecken verlaufen in geschlängelter Form durch die Innenstadt und fahren einmal nach Mosson (Norden) und Richtung Odysseum (Süden). Es wird zurzeit an einer dritten, 22Km langen Linie, gebaut und sie soll 2012 fertiggestellt werden. Es ist auch eine vierte Linie in Richtung Südwesten in Planung. Mit der Strassenbahn lassen sich die meisten Punkte erreichen. Wenn man an den Strand will, so sollte man mit dem Bus am Place de L´Europe abfahren. Ein Ticket kostet 1,50€ (einfache Fahrt) und die Fahrt dauert 15min.


Banken und Zahlungsmittel

Es wird an einigen Stellen davon gesprochen bzw. geschrieben, dass das Zahlen mit Scheck in Frankreich noch weit verbreitet sei. Dies kann ich nicht, jedenfalls nicht im Süden, bestätigen. Das habe ich nur in den seltensten Fällen gesehen. Die meisten zahlen mit Kreditkarte oder Bar. Man sollte als erstes ein Konto eröffnen. Die populärsten Banken sind BNP Paribas, LCL und Crédit Ágricole. Bei ersterer gibt es ein Abkommen mit der ESC und man bekommt 80€ Startguthaben. Allerdings wird die Freude des Startguthabens gleich wieder geschmälert, weil man eine Haus- und Diebstahlversicherung abschließen muss, die fast höher als das Startguthaben sind. Ich hatte somit gar nichts vom Startguthaben. Auch die Übersendung der Karte dauerte bei mir 2 Monate.