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Erfahrungsbericht Rovaniemi WS2012/13 #2

-von Lennart Kunze

 

Vorbereitung

Die Bewerbung bei der Gasthochschule, der University of Lapland, ist völlig problemfrei abgelaufen. Die dortigen Mitarbeiter des „International Office“ haben zügig und in fehlerfreiem Englisch geantwortet. Auch auf individuelle Fragen wurde zeitnah und umfassend eingegangen. Die Planung des Studienaufenthaltes wurde ebenfalls sehr erleichtert, da auf der Website der Universität sämtliche Kurse in Englischer Sprache verzeichnet waren. Leider war zu einigen Kursen erst recht kurzfristig vor Semesterbeginn eine Modulbeschreibung vorhanden. Auf Nachfrage wurden jedoch auch diese Infor-mationen bereitgestellt.

Rechtzeitig vor Antritt des Auslandsaufenthaltens wurde von der University of Lapland ein Infopaket über das Studium und tägliche Leben in Rovaniemi (die Stadt der Gasthochschule) versendet. Diese Informationen waren sehr übersichtlich aufbereitet und ließen keine Fragen offen. Selbst an alltägliche Dinge wie: „Woher bekomme ich preiswert ein Fahrrad für die Dauer meines Aufenthaltes?“, wurde gedacht.

 

Unterkunft

Für alle ausländischen Studenten standen über die „DAS“ Wohnungsverwaltungsgesellschaft Wohnungen bereit. Das Wohnheim besteht aus 8 Häuserkomplexen, wobei 2 dieser Einheiten den ausländischen Studenten vorbehalten sind. Leider haben die Wohnungen ihre besten Zeiten hinter sich. Manche Studenten hatten Glück und fanden teilweise neues Mobiliar vor. Die meisten Wohnungen waren wohl in den 90er das letzte Mal renoviert worden und dementsprechend recht abgewohnt. Die Mieten waren jedoch moderat; meiner Einschätzung nach dem Zustand der Wohnungen angemessen. Ich hatte mit meiner Wohnung Glück und bekam ein Einzelapartment. Manche meiner Kommilitonen mussten sich jedoch sehr kleine Zimmer teilen, mit jeweils nur einem Schrank und einem Schreibtisch für 2 Personen. Und Bad und Küche wurden zu sechst (!) benutzt Die meisten waren darüber nicht sehr erfreut und 4 Monate keine Privatsphäre zu haben ist, wie man sich vorstellen kann, teilweise sehr anstrengend. Dafür wurden für diese Wohnungen meist auch nur 100 – 130 Euro pro Person Monatsmiete aufgerufen.

Ein weiterer negativer Punkt des Wohnheims ist seine Lage. Einkaufsmöglichkeiten können zwar in 10 Minuten zu Fuß erreicht werden, die Innenstadt mit allen Restaurants, umfassenderen Einkaufs-möglichkeiten und Bars und Clubs ist ca. 3km entfernt. Die Uni ist ebenfalls recht weite weg vom Wohnheim. Der Hauptcampus 3,5km, weitere Campusse teilweise noch weiter. Mit dem Fahrrad bei Schnee und Eis bei -30 Grad kann man hierfür ca. 20 Minuten Anfahrt rechnen. Die Fahrradwege sind dafür sehr gut ausgebaut, jedoch teilweise schlecht gestreut!

 

Studium an der Gasthochschule

Das Studium als solches kann positiv beurteilt werden. Die Gruppen bei mir im Masterstudiengang waren sehr klein, alle meine Dozenten sehr engagiert und hatten stets ein offenes Ohr für die Interessen und Belange der Studenten. Diese persönliche Betreuung hat mein Interesse an den angebotenen Modulen sehr gefördert. Auch die Lernatmosphäre in der Bibliothek kann als herausragend gut beschrieben werden. Die angebotene Infrastruktur dort ist wirklich gut und es war keine Seltenheit, dass ich ganze Tage in der Bibliothek verbracht habe. Die Finnen sind generell entspannter als deutsche Studenten und so wird auch einfach mal in der Bibliothek mit dem Handy telefoniert. Daran darf man sich nicht stören.

Herausragend war auch die Einführungswoche. Man wurde sprichwörtlich an der Hand genommen und sämtliche Fragen wurden geklärt und den Studenten wurde wirklich umfassend alles rund um das Studium und das Leben in Rovaniemi erklärt. Und auch kostenfreie Sahnetorte und Kaffe gab es zur Begrüßung.

Die University of Lapland ist sehr klein (ca. 4.000 Studierende). Daraus ergibt sich ein ganz anderes Studienumfeld, als ich es von der Justus-Liebig-Universität Gießen gewohnt bin. Alles ist viel familiärer und viele Dozenten und Verwaltungsangestellte kennen die Studenten bereits nach wenigen Tagen mit Namen. Somit sind auch die Wege wesentlich kürzer und eine Unterschrift oder eine Information erhält man wesentlich unbürokratischer und unkomplizierter, als an einer deutschen Massenuniversität. Bei dieser netten Umgebung darf man sich dann auch nicht wundern, wenn es kurz vor Weihnachten in der Bibliothek kostenlos Plätzchen und Punsch (natürlich alkoholfrei) gibt oder zwei Dozenten mit Gitarre und Verstärker im Foyer zur Ablenkung finnische Weihnachtslieder trällern. Vom Schlafraum für gestresste Studenten ganz zu schweigen…

Das finnische Studiensystem erlaubt es Klausuren monatlich zu wiederholen, bis man entweder mit der Note zufrieden ist oder das Semester vorbei ist. Auch schriftliche Hausarbeiten können nachbearbeitet werden, wenn man mit der ersten Benotung nicht zufrieden ist. Der Dozent gibt hierbei sogar eine umfassende Hilfestellung, welche Punkte verbessert werden müssen. Für mich ist dieser Umstand immer noch ein absolutes Novum und erleichtert das Erreichen guter Noten durchaus. Zudem erfährt man so endlich, welche Fehler man in einer Hausarbeit gemacht hat und lernt dementsprechend viel besser für weitere Arbeiten, als z.B. in Deutschland, wo man nur die Note „auf den Tisch geknallt bekommt“, aber so gut wie nie ein Feedback erhält!

Eine etwas ungewöhnliche Prüfungsform waren für mich die sogenannten „Book Exams“. Hierbei gibt es keine Vorlesungen und man bekommt über ein Online-System lediglich eine Auswahl an Büchern vorgeschlagen, welche man für eine anschließende Klausur gelesen haben soll. In der Klausur selbst hat man dann 4 Stunden um Fragen zu beantworten (Wie wir gelernt haben – die Finnen sind entspannt – also kann man während der Klausur auch beliebig viele Toilettenpausen machen. Beaufsichtigt natürlich). Es gibt keinerlei Vorlesungen zu diesen Modulen. Jedoch sind die Dozenten im Regelfall bei Fragen gut erreichbar.


Alltag und Freizeit

Der Alltag in Finnland ist ähnlich zu einem Leben in Deutschland. Zwar muss man sich an die Tempe-raturen von bis zu -45 Grad und die lange Dunkelheit in Rovaniemi einstellen, aber ansonsten läuft das Studentenleben ähnlich zu Deutschland ab. Vor meinem Aufenthalt in Rovaniemi war ich leicht beun-ruhigt, so weit nördlich viele liebgewonnen Alltagsgegenstände nicht zu erhalten. Rovaniemi hat mich aber eines Besseren belehrt. Natürlich ist nicht die identische Produktpalette wir in Deutschland verfügbar, aber Lidl, McDonalds, H&M und Co. machen das Leben angenehm.

Es muss jedoch immer beachtet werden, dass Finnland ein teures Land ist. Das Preisniveau liegt schätzungsweise zwischen 15-40% über Deutschland. Vor allem Alkohol ist extrem teuer. Für 0,33 Liter Bier in einem Standard-Restaurant zahlt man im Schnitt 7 Euro. Lustiger weise gewöhnt man sich mit der Zeit an die Preise und ein Burger inkl. Pommes für 18 Euro ist irgendwann völlig normal. Glücklicherweise bieten etliche Kantinen und Mensen im ganzen Stadtgebiet Rabatte für Studenten an und eine Mahlzeit inkl. Getränk und Salat ist dann für 2–2,60 Euro zu haben. Ein sehr faires Angebot wenn auch die Qualität des Essens nicht immer Überragen ist.

Ein weiterer Umstand macht das Leben in Finnland sehr angenehm: Die Finnen sind von Grund auf Ehrlich. Rucksack am Eingang des Shopping-Centers einfach an einen unbewachten Kleiderständer hängen, Jacken in der Uni im Foyer aufhängen, in der Mensa ganz frei ohne Barrieren das Buffet erreichen und man vertraut darauf, dass anschließend bezahlt wird – alles kein Problem und gang und gäbe. Leider haben einige Erasmus Studenten dies ausgenutzt und schamlos Geschirr, Brot und andere Lebensmittel aus der Mensa gestohlen! Unglaublich.

Ein ganz wichtiger Punkt: Wer in Rovaniemi ein Auslandssemester mit Sex, Drugs and Rock’n Roll erwartet, der wird enttäuscht. Vielleicht war es nur in meinem Semester so, aber insgesamt waren die Party-Aktivitäten im Wohnheim sehr verhalten. Auch die drei örtlichen Clubs waren (wenn überhaupt) nur Samstags gut besucht. Studentenparties gab es nur am Anfang des Semesters. Wer ein Erasmus-Party-Semester machen möchte, dem rate ich von Rovaniemi dringend ab.

Leider hält sich das Angebot an weiteren Freizeitaktivitäten vor allem im Winter auch sonst in Grenzen. Man muss sich schon mit seinen Kommilitonen gut verstehen und mit diesen privat Dinge unternehmen. Aber auch hierbei gehen einem irgendwann die Ideen aus. Man muss sich einfach darüber im Klaren sein, dass Rovaniemi keine Weltmetropole ist, sondern eine 60.000 Einwohner-Stadt ohne größere Städte im Radius von 1.000km. Am nächsten sind da noch Stockholm und Helsinki. Auch wenn der letzte Absatz leicht negativ konnotiert ist, war mir während meinen 3,5 Monaten Aufenthalt in Rovaniemi selten langweilig. Wenn man natürlich 1 Jahr dort verbringt, sieht die Sache wohl schon anders aus. Mit dem nötigen Kleingeld sind Motor-, Rentier- und Huskyschlittenfahrten aber ein absolutes Highlight und im Sommer kann man tolle Ausflüge mit Booten auf den weitläufigen Seenlandschaften machen. Naturfreaks kommen wahrscheinlich voll auf ihre Kosten.

 

Fazit

Ich kann einen Studienaufenthalt alleine schon wegen der überragend studentenfreundlichen Uni nur empfehlen. Die Freundlichkeit und Offenheit sowie die tolle Organisation, welche dort vorzufinden ist, kann kaum in Worten beschrieben werden. Ich bin immer noch hellauf begeistert, wie wunderbar ein Studienalltag ablaufen kann – so macht Studieren Spaß!!!

Falls man aber ein Party-Semester machen will und die Kälte und Dunkelheit scheut, sollte man lieber über einen Aufenthalt in Spanien nachdenken. Mich haben die eingeschränkten Party- und Freizeit-möglichkeiten kaum gestört, da mein Aufenthalt mit wenigen Monaten recht kurz war und ich viele tolle Menschen (Finnen und andere ausländische Studierende) kennengelernt habe, mit denen die Zeit wie im Flug verging und keine Minute langweilig war - aber das Klischee von ständiger Party und Alkoholexzessen von Auslandssemestern wurde nicht erfüllt.

Trotzdem fällt mein Fazit positiv aus und ein Erasmus-Semester in Rovaniemi ist ein Erlebnis, welches ich wärmstens empfehlen kann.